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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: Harry Bingham
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sind verstopft, na ja, du kannst es dir ja vorstellen. Die Beamten wollten erst nicht reingehen, aber als sie das sehen, wollen sie doch. Sie brechen die Tür auf. Im Haus sieht’s noch schlimmer aus.«
    Wieder eine Pause. Keine theatralische Miene diesmal, nur das schlimme Gefühl, das normale Menschen befällt, wenn sie mit etwas Grässlichem konfrontiert werden. Ich nicke, um ihm zu signalisieren, dass ich weiß, was er empfindet. Das weiß ich natürlich nicht, aber das macht man eben so.
    » Zwei Leichen. Eine Frau, möglicherweise in ihren Zwanzigern. Rothaarig. Hinweise auf Drogenkonsum, aber keine Todesursache festzustellen. Jedenfalls auf den ersten Blick nicht. Und ein kleines Mädchen. Ein süßes Mädchen, vielleicht fünf oder sechs. So dünn wie ein Streichholz. Und … Himmel, Fi, jemand hat ein Spülbecken auf den Kopf der Kleinen fallen lassen. So ein riesiges Keramikteil. Das Spülbecken ist nicht zerbrochen, aber es hat sie zerquetscht. Und sie haben sich nicht mal die Mühe gemacht, es wieder von ihr runterzunehmen …«
    In Brydons Augen liegt Anteilnahme, und seine Stimme klingt gequetscht, als würde sie ebenfalls unter einem schweren Keramikspülbecken in einem Haus liegen, in dem es so sehr nach Verwesung stinkt, dass es selbst hier noch zu riechen ist.
    Ich kann nicht besonders gut mit Gefühlen umgehen. Noch nicht. Nicht mit den richtig menschlichen Gefühlen, den instinktiven, die so natürlich und unkontrollierbar wie ein Gebirgsbach aus den Leuten heraussprudeln. Dieses Haus des Todes allerdings kann ich mir gut vorstellen, weil ich in den letzten Jahren an ein paar wirklich üblen Orten gewesen bin und weiß, wie so etwas aussieht. Trotzdem kann ich Brydons emotionale Reaktion auf die Morde nicht teilen. Ich beneide ihn dafür, aber ich teile sie nicht. Doch Brydon ist mein Freund und sitzt mir direkt gegenüber, also erwartet er etwas von mir. Ich lege meine Hand auf seinen Unterarm. Er trägt kein Jackett, und die Wärme zwischen seiner Haut und meiner ist sofort spürbar. Er atmet durch den Mund aus. Geräuschlos. Als würde er sich von etwas befreien. Ich lasse es zu, auch wenn ich nicht weiß, von was genau er sich da befreit.
    Einen Moment lang wirft er mir einen dankbaren Blick zu, zieht den Arm zurück und leert seine Teetasse. Er sieht immer noch finster drein, aber da er emotional eher der elastische Typ ist, wird er das schon wegstecken. Das wäre vielleicht anders, wenn er derjenige gewesen wäre, der die Leichen gefunden hat.
    Brydon deutet auf die Kreditkarte. » Und in dem ganzen Müll haben sie die hier gefunden.«
    Ich kann es mir vorstellen. Schmutzige Teller. Möbel, die viel zu groß für den Raum sind. Braunes Velours mit alten Essensflecken darauf. Klamotten. Zerbrochene Spielsachen. Ein Fernseher. Drogenzubehör: Tabak, Nadeln, Feuerzeuge. Plastiktüten voll mit unnützen Dingen: Fußmatten fürs Auto, Kleiderbügel, CD -Hüllen, Windeln. Ich kenne diese Orte. Je ärmer der Haushalt, desto mehr Gerümpel. Und irgendwo dazwischen, auf einer Kommode unter einem Stapel Vollstreckungsbescheide und letzter Mahnungen, liegt eine Platinum-Kreditkarte. Eine Kreditkarte und ein kleines süßes Mädchen auf dem Boden, dessen Kopf zu Brei zerquetscht ist.
    » Ich kann’s mir vorstellen.«
    » Ja.« Brydon nickt und reißt sich aus seinen Gedanken. Er ist ein Detective Sergeant. Das ist sein Job. Und wir befinden uns gerade nicht in diesem Haus, wir sind in einem Büro mit Energiesparlampen an der Decke, ergonomischen Schreibtischstühlen, hocheffizienten Fotokopierapparaten und einer Aussicht auf den Cathays Park. » Hat für mächtig Aufruhr gesorgt.«
    » Klar.«
    » Jackson leitet die Ermittlungen, aber er will alle mit an Bord haben.«
    » Er will mich mit an Bord haben?«
    » Ganz genau.«
    » Weil er wissen will, warum die Kreditkarte dort war.«
    » Richtig. Wahrscheinlich ist das nur ein stinknormaler Kreditkartendiebstahl. Trotzdem müssen wir diese Spur verfolgen, nachprüfen, ob es da irgendwelche Verbindungen gibt. Ich weiß, das ist ziemlich weit hergeholt.«
    Er erzählt mir mehr über den Fall, der inzwischen den Codenamen Operation Lohan trägt. Einsatzbesprechung jeden Tag pünktlich um acht Uhr dreißig. Und pünktlich heißt pünktlich. Jeder hat zu erscheinen, auch diejenigen, die nicht zum Kernteam gehören – wie ich zum Beispiel. Die Presse erhält nur eine sehr knappe Stellungnahme, ansonsten herrscht absolute Funkstille. Brydon erzählt mir das
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