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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: Harry Bingham
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darüber Bescheid, nehme ich an?«
    » Ja. Das haben wir besprochen. Ich war krank. Dann ging’s mir wieder besser.«
    » Mit wem in der Personalabteilung haben Sie gesprochen?«
    » Katie. Katie Andrews.«
    » Und die Krankheit?«
    Ich zucke mit den Schultern. » Ich bin wieder gesund.«
    Eine Nicht-Antwort. Ich hoffe inständig, dass er nicht weiter nachbohrt. Was er nicht tut. Er fragt mich, mit wem ich mich bisher unterhalten habe. Mit so ziemlich jedem, lautet die Antwort. Das Gespräch mit Matthews ist die letzte Station.
    » Okay. Ihr Vater weiß, dass Sie sich auf diese Stelle bewerben?«
    » Ja.«
    » Das wird ihn sicher freuen.«
    Wieder eine Feststellung statt einer Frage. Ich antworte nicht.
    Matthews studiert eingehend mein Gesicht. Vielleicht ist das seine Verhörtechnik. Er stellt gar keine Fragen, sondern wirft nur Behauptungen in den Raum und inspiziert dann die Gesichter seiner Gegenüber unter dem hellen Licht des weiten Himmels über Cardiff.
    » Also gut. Sie haben den Job.«
    » Ja?«
    » Aber selbstverständlich. Wir Polizisten sind nicht gerade die Dümmsten, aber Sie haben mehr Köpfchen als irgendjemand sonst hier. Sie sind fit. Sie haben keine Vorstrafen. Sie waren als Teenager krank, und nun sind Sie wieder gesund. Sie wollen für uns arbeiten. Warum sollten wir Sie nicht einstellen?«
    Da fallen mir auf Anhieb gleich mehrere Antworten ein, die ich natürlich für mich behalte. Mit einem Mal bin ich furchtbar erleichtert, was mir ein bisschen Angst macht, weil mir meine Anspannung gar nicht bewusst war. Ich stehe auf, da Matthews ebenfalls aufgestanden ist, auf mich zukommt, meine Hand schüttelt und etwas sagt. Seine breiten Schultern versperren mir die Sicht auf den Bute Park und die Drachen. Matthews redet über Formalitäten, und ich spule die entsprechenden Antworten ab, aber gedanklich bin ich ganz woanders. Bald bin ich Polizistin. Und noch vor fünf Jahren war ich tot.

2
    Mai 2010
    Es stimmt: Ich mag Routinearbeit, aber irgendwann kann es des Guten auch zu viel sein.
    Ein Londoner Polizist namens Brian Penry musste – nach zweiundzwanzig Dienstjahren ohne den geringsten Tadel – den Job an den Nagel hängen, nachdem er sich in Ausübung seiner Pflicht verletzt hatte. Er wurde Schatzmeister einer katholischen Knabenschule in Monmouthshire. Dort unterschlug er kleinere Geldbeträge. Wurde nicht erwischt. Unterschlug mehr. Wurde wieder nicht erwischt. Dann wurde er gierig: kaufte sich ein Klavier, wurde Mitglied in einem Golfclub, machte zwei ausgedehnte Urlaubsreisen, baute sich einen Wintergarten und beteiligte sich an einem Rennpferd.
    Die Schulleitung war zwar etwas schwerfällig, aber nicht völlig blind. Sie zeigte den Mann bei uns an und lieferte sogar Beweise. Wir ermittelten und fanden weitere Beweise, verhafteten den Verdächtigen und verhörten ihn. Penry stritt alles ab, dann schwieg er, starrte an die Wand und sah aus wie ein Häuflein Elend. Auf den Bändern ist nur sein leicht asthmatischer Atem zu hören, ein dünnes, nasales Pfeifen zwischen unseren Fragen, das sich fast wie eine Beschwerde anhört. Wir überführten ihn des Diebstahls in elf Fällen, obwohl es in Wahrheit wohl eher fünfzig waren.
    Er streitet immer noch alles ab, was bedeutet, dass wir den Prozess vorbereiten müssen. Fünf Minuten vor der Gerichtsverhandlung wird sich Penry schuldig bekennen, da er keine Chance hat und das auch weiß, und für das Strafmaß wird es keinen Unterschied machen, ob er jetzt oder später auf schuldig plädiert. Was bedeutet, dass ich in der Zwischenzeit jeden einzelnen Posten auf seinen Kontoauszügen der letzten sechs Jahre durchgehen muss, jede einzelne Kreditkartentransaktion, jede einzelne Überweisung vom Konto der Schule und ausnahmslos alle betrügerischen Vorgänge so haarklein dokumentieren muss, dass der Strafverteidiger den Fall nicht aufgrund irgendwelcher läppischer Formfehler vor Gericht auseinandernehmen kann. Wozu es, wie gesagt, sowieso nicht kommen wird, weil Penry keine Chance hat und das auch weiß.
    Mein Schreibtisch ist über und über mit Unterlagen bedeckt. Ich hasse alle Banken und Kreditkartenorganisationen. Ich hasse alle Ziffern zwischen null und neun. Ich verachte alle nachlässig geführten katholischen Knabenschulen in South Wales. Wenn Brian Penry jetzt vor mir stünde, würde ich ihn meinen Taschenrechner fressen lassen. Und der ist ungefähr so groß und verdaulich wie ein Telefonapparat mit Wählscheibe.
    » Macht’s
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