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Totenhaut

Titel: Totenhaut
Autoren: Chris Simms
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still wurde, konnten sie ein schwaches, nasses Zischen hören, als ob jemand einen dünnen Luftstrahl zwischen seinen Zähnen hindurch presste. Sie sahen einander fragend an, dann senkte Jon den Kopf und lauschte.
    Da sah er, dass sich ein blutiges Rinnsal unter der Tür hindurchzuschlängeln begann. Er sprang nach hinten, senkte die Schulter und stürmte dagegen. Die Tür splitterte aus den Angeln, und beinahe wäre er in den dahinterliegenden Raum gefallen. Mehrere Halogenspots warfen ihr blendendes Licht von der Decke auf die strahlend weißen, mit getrocknetem Blut bespritzten Wände. In der Mitte des Raums befand sich ein Betonblock mit einer Platte, die aussah wie Marmor. Darauf ausgestreckt lag die Frau, teilweise noch immer in das Laken gehüllt. Jon konnte sehen, dass sie noch vollständig bekleidet war. Das Zischen kam von der Seite, und Jon wandte den Kopf.
    O’Connor saß mit dem Rücken an der Wand. Seine Hände waren glitschig und rot, und ungeschickt versuchte er, ein Skalpell aufzuheben, das sich in den blutgetränkten Falten seines OP-Kittels verfangen hatte. Blut spritzte aus seinem Hals. Beim Austritt an die Luft zischte jeder kleine Strahl wie eine Schlange.
    Rick kam herein. »O mein Gott, wir brauchen … wir brauchen Tücher. Irgendwas, um die Blutung zu stillen.«
    Er packte einen Zipfel des Lakens, in das die Frau gehüllt war und versuchte, etwas davon abzureißen.
    Endlich gelang es O’Connor, das Skalpell mit der rechten Hand zu ergreifen. Er drehte sein linkes Handgelenk nach oben und näherte sich ihm mit der Spitze der Klinge.
    Jon hob den Spazierstock, hieb mit dem V auf O’Connors rechte Hand und hielt sie damit in der Blutlache fest, die sich zwischen dessen Beinen gebildet hatte.
    »Lass es«, rief er Rick zu. »Die Frau hat Vorrang. Hat sie Puls?«
    Mit zitternden Händen befühlte Rick ihren Hals. »Sie lebt.«
    »Dann geh nach oben und sieh nach, wo die Sanitäter bleiben. Sofort!«
    Ricks Mund öffnete und schloss sich. Er zog sein Handy heraus und rannte die Treppe wieder hinauf. Jon sah sich um. Neben der Frau stand ein kleiner Rollwagen. Darauf befand sich eine Schale aus rostfreiem Stahl, in welcher zwei Spritzen und ein Paar Latexhandschuhe lagen. Medizinische Instrumente bedeckten die hintere Wand des Raums. Weitere Skalpelle, mit Klingen, die immer feiner und grausamer wurden. Daneben hingen Sägen, Klemmen, Wundhaken, Hämmer, Meißel. Ein Bohrer mit einer glänzenden Silberspitze. Sein Blick wurde von einem Reagenzröhrchen angezogen, in dem sich etwas befand, das wie menschliche Zähne aussah.
    Er spürte, wie sich der Spazierstock bewegte, und sah hinunter. Der Arzt versuchte, seine Skalpellhand zu heben. Schwach, wie er war, kam er nicht weit.
    Jon stützte sich auf den Stock. »So leicht kommen Sie nicht davon. Nicht, bevor Sie mir eines gesagt haben: Wozu das Ganze?«
    Der Arzt sackte wieder gegen die Wand. Er hob den Blick. Selbst im grellen Halogenlicht verloren seine Augen ihren Glanz, und Jon wusste, dass dem anderen nicht mehr viel Zeit blieb. Die kleinen Fontänen, die aus seinem Hals spritzten, wurden immer schwächer.
    »Warum?«, wiederholte Jon. »Warum haben Sie es getan?«
    O’Connors Augen drehten sich zu Jons Händen, und seine Stimme klang wie Wind in einer Höhle. »Hat doch seinen Reiz, nicht wahr?«
    »Was?«, fragte Jon schroff.
    »Gott zu spielen. Es in der Hand zu haben, ob ich lebe oder sterbe.«
    Jon schaute auf seine Knöchel und sah, dass sie weiß waren von dem Druck, den er auf den Stock ausübte. Er verlagerte sein Gewicht. »Ich bin nicht wie Sie.«
    O’Connors Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. Sein Kopf sank nach vorn, und seine Augen schlossen sich langsam. Das Blut floss nur noch als dünnes Rinnsal aus seinem Hals.
    Jon schlug dem Arzt das Skalpell aus der Hand und rammte ihm das V des Stocks gegen die Stirn, dass sein Schädel an die weiße Wand knallte. »Warum? Sagen Sie mir, warum?«
    O’Connors Augen öffneten sich einen winzigen Schlitz, und ein kaum hörbares Flüstern entrang sich seinen Lippen. »Unten drunter sind wir gleich.«
    Jon schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Nein, das sind wir nicht. Sagen Sie mir …«
    Seine Worte erstarben zu einem Flüstern. Der Arzt war für niemanden mehr zu erreichen.
    Jon entfernte sich von der Blutlache, die wie etwas Lebendiges langsam über den Boden kroch, in die Rinne sickerte, die um den Tisch herumlief, und durch das Gitter des rostigen Abflusses tropfte.
    Er
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