Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totengeld

Totengeld

Titel: Totengeld
Autoren: Kathy Reichs
Vom Netzwerk:
genährt war von Koffein und Adrenalin. Und dass beides irgendwann nachlassen würde.
    Das Mädchen stöhnte.
    In diesem Sekundenbruchteil verlor ich den Vorteil, der dem Mann vielleicht das Leben gerettet hätte.
    Ich schaute nach unten.
    Er machte einen Satz auf mich zu.
    Frisches Adrenalin schoss durch meinen Körper.
    Ich hob die Waffe.
    Er kam näher.
    Ich zielte auf das weiße Dreieck.
    Schoss.
    Die Explosion war brutal laut. Der Rückstoß riss mir die Hände nach oben, aber ich blieb sicher stehen.
    Der Mann sackte zu Boden.
    Im Dämmerlicht sah ich das Dreieck dunkel werden. Wusste, dass Rot sich darüber ausbreitete. Ein perfekter Treffer. Das Dreieck des Todes.
    Stille bis auf mein eigenes, heiseres Atmen.
    Dann übernahm mein Verstand die Kontrolle über das Stammhirn.
    Ich hatte einen Mann getötet.
    Meine Hände zitterten. Galle stieg mir in die Kehle.
    Ich schluckte. Richtete die Waffe wieder aus und ging langsam vorwärts.
    Das Mädchen lag reglos da. Ich kauerte mich hin und drückte ihr zitternde Finger an die Kehle. Spürte einen Puls, schwach, aber regelmäßig.
    Ich drehte mich um. Schaute in die stummen, böswilligen Augen des Mannes.
    Plötzlich fühlte ich mich erschöpft. Und war entsetzt von dem, was ich eben getan hatte.
    Ich überlegte. Konnte ich in meinem Zustand gute Entscheidungen treffen? Sie auch umsetzen? Mein Handy lag zu Hause.
    Ich wollte mich hinsetzen, den Kopf in die Hände stützen und den Tränen freien Lauf lassen.
    Stattdessen atmete ich ein paarmal tief durch, stand auf und ging durch Dunkelheit, die mir wie tausend Meilen vorkam, zur Treppe. Mit Beinen weich wie Gummi stieg ich hinauf.
    Vom Treppenabsatz bog ein Gang nach rechts ab. Ich folgte ihm zu der einzigen geschlossenen Tür.
    Die Waffe fest in einer feuchten Hand, streckte ich die andere aus und drehte den Knauf.
    Die Tür schwang nach innen.
    Ich starrte in nacktes Grauen.

ERSTER TEIL

 
    1
    Man hat mich schon öfter gefangen gehalten. In einem Keller, im Kühlraum einer Leichenhalle, in einer Gruft unter der Erde. Es ist immer furchterregend und intensiv. Aber diese Gefangenschaft übertraf alles, was ich je an körperlichem Schmerz erlebt hatte.
    Der Jurorenbereich im Gerichtsgebäude des Mecklenburg County ist so gut, wie solche Einrichtungen eben sein können – WLAN , Computer, Billardtische, Popcorn. Ich hätte eine Freistellung beantragen können. Habe ich aber nicht. Die Justiz rief, und ich kam. Brennan, die gute Staatsbürgerin. Außerdem wusste ich, dass man mich aufgrund meines Arbeitsbereichs sowieso ausschließen würde. Als ich den heutigen Tag plante, hatte ich sechzig, maximal neunzig Minuten eingerechnet, in denen ich mir wahrscheinlich Plattfüße holen würde.
    Von wegen Plattfüße. Beachten Sie meinen Gedankensprung. Zu meiner aufregenden beruflichen Fußbekleidung gehören atmungsaktive Goretex-Wanderschuhe und vielleicht Gummistiefel, damit man nicht im Matsch landet. Dass ich jemals mörderische High Heels kaufe, geschweige denn trage, ist so wahrscheinlich wie die Entdeckung von Gigantosaurus-Knochen hinter einem Bad Daddy’s Burger.
    Meine Schwester Harry hatte mich zu zehn Zentimeter hohen Pumps von Christian Louboutin überredet. Harry aus Texas, dem Land der großen Frisuren und meilenhohen Stilettos. Damit du professionell aussiehst, hatte sie gesagt. In verantwortlicher Position. Außerdem sind sie sechzig Prozent reduziert.
    Ich muss zugeben, das glänzende Leder und die schicken Ziernähte sahen an meinen Füßen toll aus. Aber fühlte ich mich auch toll? Nicht nach drei Stunden Warten. Als der Gerichtsdiener unsere Gruppe schließlich aufrief, torkelte ich fast in den Gerichtssaal, und dann, als meine Nummer aufgerufen wurde, in den Zeugenstand.
    »Bitte nennen Sie Ihren vollen Namen.« Chelsea Jett, gefühlte sechs Minuten nach ihrem Juradiplom, 400-Dollar-Kostüm, teure Perlenhalskette und Stilettos, die meine alt aussehen ließen. Die frischgebackene Staatsanwältin Jett versteckte ihre Nervosität hinter einem barschen Auftreten.
    »Temperance Daessee Brennan.« Mach’s für uns beide leichter. Lass mich ruck, zuck wieder gehen.
    »Bitten nennen Sie Ihre Adresse.«
    Ich tat es. »Das ist auf Sharon Hall«, fügte ich leutselig hinzu. Ein Herrenhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, roter Backstein, weiße Säulen, Magnolien. Mein Häuschen ist der Anbau zur Remise, der Annex. Mehr Old South geht nicht. Doch das sagte ich alles nicht.
    »Wie lange wohnen Sie schon in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher