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Totengeld

Totengeld

Titel: Totengeld
Autoren: Kathy Reichs
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911.
    Ich lief links an den Fahrzeugen vorbei und schoss auf die Lücke im Zaun zu, mein Verfolger dicht hinter mir.
    Beinahe hätte ich es geschafft.
    Zwei Meter von dem Bauschild entfernt packte eine Hand meine Schulter. Ich drehte mich und fuhr mit den Nägeln über deren Haut. Sah, dass parallele Striemen das Wort Ripper verdunkelten.
    Der Griff erschlaffte einen Sekundenbruchteil. Ich riss mich los, sprang nach vorne und duckte mich hinter das Schild.
    Der Mann schüttelte die verletzte Hand, in der anderen hatte er eine Waffe.
    Ich kauerte dicht am Boden, der Puls pochte mir in den Schläfen, der Kehle, der Brust. Warum drückte er nicht ab?
    Dann hörte ich ein Klicken.
    Keine Kugel klirrte auf Metall. Oder zerriss mein Fleisch.
    Noch ein Klicken. Wieder nichts.
    Fluchend steckte der Mann die Waffe ein und kam auf mich zu.
    Ich rannte auf den Zaun zu. Mit atemberaubender Geschwindigkeit war er über mir.
    Wir gingen zu Boden und rollten. Metallschrott und Steine stachen mir in Bauch und Rücken. Öliges Wasser spritzte mir ins Gesicht und durchtränkte meine Kleidung. Unser heftiges Atmen verdrängte alle anderen Geräusche.
    Da ich von Nahkampf keine Ahnung hatte, schlug ich nur wild um mich, randvoll mit Adrenalin und angetrieben von Panik.
    Ein Wunder. Ich konnte mich losreißen und kroch auf die Öffnung zu.
    Eine Hand packte meinen Fuß. Während mein Körper rückwärts über die Erde gezogen wurde, schlossen sich meine Finger um einen verrosteten Metallgegenstand. Das Ding war lang und zylindrisch, ich vermutete, ein Rohrstück.
    Mit einem Fauchen tief aus den Eingeweiden drehte ich den Oberkörper und holte mit dem Metallding schräg nach oben aus.
    Und traf.
    Die Wucht des Aufpralls ließ meinen Angreifer auf die Knie sinken. Er riss die Hände an den Kopf.
    Ich rappelte mich hoch und hielt das Rohr so fest umklammert, dass Rostpartikel meine Unterarme sprenkelten.
    Das Gesicht meines Feindes leuchtete fahl im Mondlicht. Es überraschte mich nicht.
    »Es ist vorbei, Lieutenant.«
    Gross hob den Kopf, die Augen ohne Fokus, die Miene zwischen Wut und Schmerz.
    Aber ich war in der Zwickmühle. Wenn ich durch den Zaun flüchtete, würde er verschwinden, sich aber vielleicht erst noch der Mädchen entledigen. Konnte ich ihn in Schach halten? Ich musste es. Ich musste Zeit schinden. Den Mistkerl hier festhalten, bis Slidell eintraf. Ihn noch einmal schlagen? Nein, das könnte auf Mord rauslaufen!
    »Sie haben mich ausgetrickst.« Zwischen keuchenden Atemzügen.
    Gross schwankte auf den Knien, sagte aber nichts.
    »Wie läuft das?«, fragte ich. »Kaufen Sie die Mädchen und fliegen sie anschließend mit falschen Papieren in die Staaten? Oder überspringen Sie die Nettigkeiten und verschiffen sie wie Fracht?«
    Noch immer keine Antwort.
    »Semper fi, was, John-Henry?«
    Gross hob überrascht den Kopf. Er nahm die Hände von den Schläfen und ließ sie langsam sinken.
    »Ihr mittleres Namensinitial auf der Anklageschrift nach Article 32. Man musste kein Genie sein, um Sie mit Ihrem Onkel John-Henry Story in Verbindung zu bringen. Ihr beide solltet seine Schwester stolz machen. Sie ist Ihre Mutter, nicht? Marianna Story Gross?« Ich musste Pete für dieses Puzzlestück danken.
    »Lassen Sie meine Mutter aus dem Spiel.«
    Ich redete einfach weiter, während ich verzweifelt auf das Heulen von Sirenen wartete.
    »Was ist das für ein Gefühl, das Corps zu entehren?« Bilder blitzten mir durchs Hirn. Tattoos. Aufnäher. »Und Ripper. Ich nehme an, Sie und Rockett haben sich bei Desert Storm zusammengetan. War der Plan seine Idee?«
    »Der hatte nicht mal ’nen Plan, wie er von der Kloschüssel wieder runterkommt.« Verwaschen, aber inzwischen kräftiger.
    »Wollte Rockett seinen alten Einheitskameraden verpfeifen? Musste er deswegen sterben?«
    Gross’ Schultern zuckten. Im ersten Augenblick dachte ich, er würde lachen.
    »Was war Candys Sünde? Hat sie versucht zu entkommen? Damit gedroht, zu reden? War sie einfach nur eine Nervensäge, wurde sie deshalb überfahren? War Majerick da auch Ihr Mann fürs Grobe?«
    »Was für ein verdammtes Genie Sie doch sind. Haben immer alle Antworten.«
    Ich redete weiter, hielt das Rohr fest umklammert, obwohl mein Handgelenk brannte wie Feuer.
    »Haben Sie deshalb den Jungen in Sheyn Bagh getötet?«
    »Kollateralschaden.«
    »Aqsaee kam wirklich auf Sie zu. Aber nicht als Aufständischer. Er wollte Sie wegen Ara zur Rede stellen. Das hat er doch gerufen, oder? Ara, nicht
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