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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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Notiz von ihnen, sie parken ganz nah am Tor, wie immer. Alltag, die Anlieferung der Leichen kann auch außerhalb der Öffnungszeiten erfolgen. Die Bestattungsunternehmen haben Schlüssel, sie kommen, laden ab und fahren wieder. Aber nicht heute, der Leichenwagen wird heute länger auf dem Parkplatz stehen. Niemand wird sich etwas denken dabei, niemand kommt hier in der Nacht vorbei. Alles passiert mit Ruhe, sie sind auf vertrautem Terrain, Reza hat hier lange Zeit ausgeholfen, sich etwas dazuverdient. Reza kennt sich hier aus, er weiß, dass es nur beim Haupteingang Kameras gibt. Er weiß, dass sie die ganze Nacht allein sein werden. Es ist Freitag, am Wochenende steht alles leer. Keiner kommt. Keiner stört sie. Keiner hört, wie er tobt. Der gute Massimo, er weiß noch nicht, wo er ist, wohin sie ihn gebracht haben, er brüllt. Stöhnen unter dem Klebeband, weil er nichts tun kann, sich nicht befreien kann, weil sie ihn auf einen Wagen heben und ihn durch einen Gang in den Hauptraum rollen. Weil er langsam begreift, was mit ihm passiert. Wie verzweifelt er versucht, sich aufzurichten. Wie er die Augen aufreißt, als er die Öfen sieht. Als er hört, was Blum sagt. Endstation, Dreckschwein.
    Krematorium, Innsbruck. Am Rande des Gewerbegebietes, ein allein stehendes Gebäude, hier werden tote Menschen zu Asche. Zweieinhalb Stunden brennen sie, dann holt man die Reste aus dem Ofen. Nägel, Schrauben, Herzschrittmacher und künstliche Gelenke werden mit einem Magnet sondiert und weggeworfen, alles Übrige kommt in eine Mühle. Knochenstückchen, die nicht vollständig verbrannt sind, zwei Minuten lang das Geräusch einer Kaffeemühle, dann ist da nur noch feinste Asche. Ungefähr zwei Kilogramm, je nach Gewicht und Größe des Verstorbenen. Asche, die man in eine Urne füllt. Sauber. Keine Sauerei. Kein Blut. Nur ein Knopfdruck, und die Ofentür geht auf. Noch ein Knopfdruck, und sie geht wieder zu. Reza weiß, wie alles funktioniert. Kurz setzt er sich an den Computer und trägt eine Nummer ein, die fortlaufende Zahl der letzten Kremierung, er verwendet sie einfach noch einmal. Kein Mensch wird es merken. Nummer 19.654 gibt es einfach zweimal. Er grinst, weil er weiß, dass der Leiter des Krematoriums am Montag den Betrieb wiederaufnehmen wird. Er wird seinen Kaffee trinken, gemütlich seine Zeitung lesen und dann die erste Leiche aus dem Kühlraum holen. Er wird die nächste Nummer in das Programm eintragen, den Sarg auf die Hebebühne stellen und den Knopf drücken. Nichts wird in ihm einen Verdacht wecken. Von Massimo Dollinger wird nichts zurückbleiben.
    Die Fichtentruhe. Sie ziehen sie von dem Rollwagen hinüber auf die Hebebühne. Der Sarg in Bewegung, Massimo. Blum sieht seine Verzweiflung, die Wut, die Angst, er will weg, er wirft seinen Körper hin und her, der Sarg wackelt, während er nach oben fährt. Auf Brusthöhe bleibt er stehen. Massimo dreht seinen roten Kopf zu ihr und schaut sie an. Ein Monster mit riesigen Augen, wehrlos, panisch. Er kann nur den Kopf bewegen, sonst nichts. Fünfzehn Zentimeter nach links und fünfzehn Zentimeter nach rechts. Er wird sie nicht anspringen, nicht über sie herfallen, er kann es nicht. Sosehr er es auch will, er kann es nicht. Blum ist sicher. Das Einzige, das ihm noch bleibt, ist, zu reden, die Wahrheit zu sagen. Sich klein zu machen. Um Vergebung zu bitten. Weil Blum ihm ganz nahe kommt, weil sie es flüstert. Weil sie ihm sagt, dass er gleich sterben wird. In fünf Minuten brennst du. Du kannst weiterschreien oder mit mir reden. Deine Entscheidung. Dann weicht ihr Kopf wieder zurück. Sie steht da und schaut zu, wie er sich zwingt, sich zu beruhigen. Wie schnell er ist. Nur sieben Sekunden, nachdem sie es gesagt hat, ist es still. Kein Laut, er liegt ruhig da und wartet ab, bis sie ihm das Klebeband vom Mund reißt. Massimo weiß, dass er tun muss, was sie sagt, er weiß, dass er jetzt nichts falsch machen darf, sie nicht provozieren darf. Seine Augen wandern hin und her, er schaut sie nicht an, er denkt nach. Fieberhaft, Blum kennt ihn. Er würde alles dafür tun, um seinen Hals zu retten, er wird um sein Leben reden, sie muss nur den Startschuss dazu geben.
    – Warum, Massimo?
    – Es tut mir so leid, Blum.
    – Das will ich nicht hören.
    – Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen.
    – Du sollst damit aufhören.
    – Du musst mir glauben, Mark war mein Freund.
    – Ein letztes Mal. Ich will das nicht hören.
    – Was willst du dann
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