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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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sie auffrisst. Noch ist alles gut.
    Massimo geht voraus in das Wohnzimmer, Blum folgt ihm. Sie muss ihn dazu bringen, Musik zu machen, es darf nicht so still sein. Man kann hören, wenn die Tür aufgeht, wenn Reza in den Raum kommt. Musik. Sie bittet ihn darum, sie will es stimmungsvoll. Musik und Kerzen , sagt sie. Dann zieht sie ihre Jacke aus. Sie wirft sie weg, und Massimo drückt den Knopf. Musik. Lauter , sagt Blum und geht auf ihn zu. Sie zieht ihn von der Tür weg, mitten in den Raum, sie führt ihn an der Hand, sie dreht ihn. Keine Sekunde lang scheint er an etwas Böses zu denken, Massimo ahnt nichts, er schaut sie nur an, er spürt sie, wie nah sie ihm plötzlich ist, er will sie, er berührt sie. Mit seiner Hand streicht er über ihre Wange, kurz weicht er zurück, er will ihr Gesicht sehen. Du bist wunderschön , sagt er. Dann zieht sie ihn wieder an sich. Sein Kopf ganz nah, sie zögert den Moment hinaus, in dem sie ihn küssen muss. So lange es geht. Bis Reza kommt, bis sie ihn hören kann, ihn sehen kann. Wie er auf Zehenspitzen den Raum betritt. Kurz noch. Ihn vertrösten, seine Gier ertragen, nur noch für Sekunden. Bis sie sich sicher ist, dass Reza ihn von ihr losreißt, seine Zunge aus ihrem Mund holt. Ihn zu Boden stößt. Ihn kaputt macht. Nur kurz noch. Er, die Musik und sie. In seinem Haus, in seinem Wohnzimmer zwei Liebende. Wie sie herumtänzeln, sich beschnuppern, wie er an ihr riecht, wie er sie will. Wie Blum die Sekunden zählt und daran denkt, dass sie keine Spuren hinterlassen dürfen, kein Blut, nichts, das Massimos Kollegen sagen wird, dass hier ein Verbrechen passiert ist. Dass ein Polizist niedergeschlagen und entführt wurde. Nichts davon. Sie werden nichts finden. Massimo wird einfach zu Boden gehen. Weil sie ihn jetzt küssen wird. Ihn dazu bringen wird, dass er die Augen schließt. Einen Augenblick lang. Jetzt.
    Mit voller Wucht auf seinen Kopf. Reza schlägt zu. Genau in dem Moment, in dem sich ihre Lippen auf seine legen. Zum letzten Mal. Weil Reza plötzlich da ist, sein Gesicht, seine Wut und die Eisenstange, die alles auslöscht, jedes Bild, ihre Angst, alles. Nur dieses dumpfe Geräusch. Massimo fällt nach hinten, er fällt von ihr ab, so als hätte Reza einen Schalter umgelegt. Off. Der Clown verliert sein Bewusstsein, er bleibt liegen, und sie spulen es ab, ihr Programm, sie haben keine Zeit, zu überlegen, zu fühlen, zu spüren, wie alles leichter wird. Noch nicht. Sie dürfen nicht stehen bleiben, sie müssen weitermachen, ihn in die Garage tragen, ihn in den Sarg legen. Alles nach Plan, so wie sie es sich ausgedacht haben. Massimo in der Fichtentruhe, Reza bindet ihn fest. Kein Deckel, damit er sie sehen kann, wenn er zu sich kommt. Kein Zögern, keine Panne, alles läuft nach Plan. Blum geht zurück in die Küche, leert den Wein in den Ausguss und säubert die Gläser. Gewissenhaft wischt sie alles ab, das sie berührt hat, sie schaltet die Musik und das Licht aus und geht. Leise fällt die Tür ins Schloss. Zurück bleibt ein leeres Haus. Nichts sonst.

49

Nur knapp fünf Kilometer. Niemand hält sie auf, es ist nur ein Leichenwagen. Alltag an der Ampel, nichts ist ungewöhnlich, niemand weiß, dass da ein Polizist in einem Sarg liegt, mit Klebeband festgebunden, wehrlos. Alles ist, wie es sein soll, Reza fährt, Blum auf dem Beifahrersitz, sie halten sich an alle Regeln, sie fahren nicht zu schnell, sie fallen nicht auf. Still und heimlich geht es durch die Stadt, weil alles wie immer ist. Sie transportieren eine Leiche. Massimo Dollinger, Ehemann von Ute Dollinger, keine Kinder, Kriminalbeamter. Dass er sterben wird, das wissen nur sie. Bald. In der nächsten Stunde das Ende. Reza und Blum. Nebeneinander, sie müssen nicht reden, sie ignorieren, dass er wieder bei Bewusstsein ist und gegen die Sargwand tritt. Es spielt keine Rolle. Dass er stöhnt im Laderaum, es ist nicht wichtig. Egal wie laut er schreit, wie groß seine Angst ist. Die von Dunja war größer. Die von Ilena und Youn auch. Viel größer, weiter, tiefer. Länger. Nicht nur eine Stadtfahrt lang. Fünf Kilometer, bis Reza den Motor abstellt. Fünf Minuten, in denen sie sich noch einmal erinnert. An seine Fäuste in ihren Gesichtern, an seinen Schwanz, der in ihnen wühlt. An alles, was Mark ausgegraben hat, was Dunja erzählt hat. Alles, was er ihnen angetan hat. Dunja und den anderen. Das Unfassbare. Dass er es ist. Massimo.
    Kurz vor Mitternacht auf dem Parkplatz. Niemand ist da, keiner nimmt
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