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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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mit ihm reden. In zwei Stunden. Sie muss die Kontrolle behalten, angreifen, sie müssen ihm zuvorkommen. Sie und Reza. Sie werden schneller sein als er. Oder sie werden beide sterben.
    Fünf Uhr früh. Seit Stunden wie tot auf dem Tisch. Neben ihr auf dem zweiten Versorgungstisch eine nackte alte Frau. Um sie muss sie sich vorher noch kümmern. Während sie Watte in die Nasenlöcher der Frau stopft, während sie ihre Haare wäscht, sie föhnt und den Dreck unter ihren Nägeln herausholt, überlegt sie, wie sie es machen wird. Wie sie ihn leiden lassen kann. Weil sie nicht will, dass er einfach so stirbt. Blum will ihn bestrafen. Und ihn hinrichten. In Gedanken sucht sie nach einem Ort, an dem sie ihn verschwinden lassen kann. Sie will nicht, dass er ihr Haus noch einmal betritt. Um keinen Preis, es muss eine andere Möglichkeit geben. Irgendwo, irgendwie. Während sie den Mund der alten Frau zunäht, plant sie Massimos Ende. Sie wird beim Frühstück mit Reza darüber reden, gemeinsam werden sie einen Weg finden. Sie werden die alte Frau in ihren Sarg betten und auf die Angehörigen warten, die sich von ihr verabschieden wollen. Sie werden den Tag vorbeiziehen lassen und auf den Abend warten. Blum wird den Kindern eine Gutenachtgeschichte vorlesen und sie auf die Stirn küssen. Sie wird dafür sorgen, dass sie in Sicherheit sind. Uma und Nela. Für immer. Sie wird alles dafür tun. Deshalb wählt sie Massimos Nummer. Der Tag hat begonnen, es ist hell draußen. Dreimal atmet sie ein und aus. Dann ist da seine Stimme. Freundlich, verlogen, gierig.
    – Blum, wie schön.
    – Ja.
    – So schnell habe ich nicht mit dir gerechnet.
    – Ich sagte doch, dass ich dich gerne sehen würde.
    – Wann?
    – Am liebsten gleich, aber ich muss noch arbeiten. Dann die Kinder. Wollen wir uns am Abend treffen? Hast du Zeit?
    – Für dich immer.
    – Ich möchte gerne mit dir alleine sein.
    – Das freut mich, Blum.
    – Aber wo? Ich möchte nicht, dass die Kinder dich in meinem Bett finden.
    – Bei mir.
    – Und Ute?
    – Sie ist nicht da.
    – Wo ist sie?
    – Weg.
    – Was meinst du damit? Wo ist sie?
    – Meine Frau hat zwei Flaschen Schnaps getrunken, dann hat sie versucht, sich umzubringen.
    – Wann?
    – Vor einer Woche.
    – Und du sagst kein Wort?
    – Nein.
    – Warum nicht?
    – Es hätte nichts geändert.
    – Was ist passiert?
    – Badewanne. Pulsadern.
    – Wo ist sie jetzt?
    – In der Psychiatrie.
    – Das tut mir leid.
    – Muss es nicht.
    – Und wann kommt sie zurück?
    – Das weiß niemand.
    – Wir können es auch verschieben, Massimo. Ich würde verstehen, wenn du jetzt lieber alleine bist.
    – Du kommst heute Abend zu mir.
    – Bist du dir sicher?
    – Ja.
    – Um neun?
    – Du machst mich glücklich, Blum.
    – Das würde ich gerne.
    – Du wirst es nicht bereuen.
    – Ich küsse dich. Bis später.
    Dann legt sie auf. Sie will sich auf die Zunge beißen, sie will sich ihre Zunge aus dem Mund reißen für das, was sie gesagt hat. Für jedes nette Wort hasst sie sich. Ich würde dich gerne glücklich machen. Ich küsse dich. Für jedes Wort, das sie ausgesprochen hat, wird er bezahlen. Das Telefon, das sie mit aller Wucht gegen die Wand schleudert. Wie es auf dem Boden aufschlägt. Und das Schreien, das sie unterdrückt, weil sie nicht will, dass jemand sie hört. Sie schluckt es hinunter, kein Laut, nur der Wunsch, dass es vorbei ist. Dass es aufhört. Dass er aufhört, da zu sein. Der gute Massimo.
    So wie die alte Frau, die neben ihr auf dem Tisch liegt. Blum hat sie in eine bunte Tracht gezwängt. Die weiße Bluse, die Schürze, eine Perlenkette um den Hals, aus ihren Haaren hat sie einen Kranz geflochten. Aus ihren Lippen hat sie ein Lächeln geformt. Nur eine tote alte Frau. Nur seine Stimme am Telefon. Und wie diese Stimme wehtut. So vertraut, Mark und Massimo. Er soll keinen Verdacht schöpfen, er soll nichts ahnen, keine Sekunde lang vermuten, dass etwas nicht stimmt. Dass es um etwas anderes geht als darum, es hemmungslos in seinem Ehebett mit ihm zu treiben. Ficken auf dem Esstisch, in der Badewanne, in der Ute fast verblutet ist, egal wo. Hauptsache, das Dreckschwein steckt seinen Schwanz in die kleine, dumme Blum. Hauptsache, er bekommt, was er will. Tief und hart den heiligen Gral, die Frau seines besten Freundes, endlich ganz. Seine Blum. Wie er sie will, sie spürt es. Seine Geilheit, dieses schmierige Verlangen. Massimo . Ich würde dich gerne glücklich machen. Dich küssen.
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