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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer
Autoren: Susanne Mischke
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das eingebildete Fräulein nicht mehr auf dem Gut herumspazieren wie eine Gräfin. Max hat mir von einem Plan von Gauleiter Lauterbacher erzählt. Ich musste bei allem, was mir heilig ist, schwören, dass ich nichts verrate. Schon sehr, sehr bald soll es in Hannover und Umgebung der Judenplage an den Kragen gehen. Ab morgen, hat Max gesagt, beginnt das große Aufräumen. Ich habe ihn gefragt, ob das auch für uns gilt, und er hat mir versprochen, dass keiner vergessen wird. Ich bin schon sehr gespannt. Das haben sie nun davon, die Sommerfelds. Hätten ja schon längst auswandern können, sind doch eh keine Staatsbürger, was haben die hier noch verloren?
    PS: Morgen reist Heiner nach Hamburg. Er muss dort einen Deckhengst ausliefern und nimmt an einer Auktion teil. Ist vielleicht ganz gut, wenn er nicht da ist. Ich hoffe nur, Max hat keinen Humbug erzählt!
    6. September 1941
    Hurra, sie sind weg! Ich kann mein Glück kaum fassen, ich hatte schon Angst, man würde sie übersehen, aber als ich gestern nach der Schule auf das Gut kam, da war alles schon passiert. Die Gestapo hat das Pack in der Früh um fünf aus ihren Betten gezerrt, das hat mir der Stallknecht Jan erzählt. Pro Person durften sie ein Bett, einen Stuhl und einen Koffer mit Kleidung mitnehmen. Da wird die exquisite Garderobe von unserer Madame gar nicht ganz reingepasst haben! Der Rest von ihrem ergaunerten Vermögen soll demnächst zugunsten deutscher Bombenopfer versteigert werden, aber Heiners Vater sagt, er hätte ihnen die Möbel schon vorher abgekauft.
    Sie sind jetzt in einem Judenhaus in Ahlem, das weiß ich von Max. Ich werde mich aber hüten, Heiner davon zu erzählen. Würde gerne sein Gesicht sehen, wenn er morgen aus Hamburg zurückkommt. Natürlich darf ich meine Freude nicht zeigen, ich werde mich vorsichtshalber ein paar Tage nicht sehen lassen. Jetzt habe ich ja Zeit, alles wieder ins Lot zu bringen. Endlich!
    Es folgen noch ein paar Beiträge, in denen neben Roswithas zarten Bemühungen um die Gunst ihres am Boden zerstörten Liebsten auch der Erwerb des Gutes für den Spottpreis von 20 000 Reichsmark durch dessen Vater Ludwig Felk zur Sprache kommt.
    Jule lehnt sich erschöpft zurück und massiert sich die Nasenwurzel mit den Fingern. Was für eine üble Lektüre, wie viel Hass und Häme aus diesen Worten spricht. Kein Wunder, dass Heiner Felk danach nicht mehr gut auf seine Frau zu sprechen war. Wie schrecklich muss es sein, so etwas zu erfahren, nachdem man all die Jahre mit dieser Person zusammengelebt hat. Zu wissen, dass sie die Mutter seiner Kinder ist. Seine Kinder … Haben Roland und Ernst Felk diese Zeilen jemals gelesen? Roland Felk hat das Buch nach dem Tod seines Vaters am Karfreitag aus dem Heim mitgenommen. Ihm blieben zum Lesen nur zwei Tage – was er nicht wissen konnte. Nein, das stimmt ja gar nicht, fällt Jule ein. Roland Felk kam aus dem Altenheim direkt zu Anna und hat das Buch bei ihr deponiert. Vermutlich kannte er den Inhalt, wahrscheinlich hat sein Vater ihn die Aufzeichnungen schon früher lesen lassen. Warum gibt Roland Felk sie an Anna weiter?
    Fraglich ist, ob Ernst Felk das Buch jemals gelesen hat. Und Martha? Sie hat Roswitha gepflegt, das Zimmer gesäubert, ihr die Koffer für den endgültigen Auszug ins Pflegeheim gepackt. Sie muss zumindest auf die Aufzeichnungen gestoßen sein. Hat sie Ernst davon erzählt? Ich an ihrer Stelle hätte das Buch vernichtet, überlegt Jule. Es ist nicht schön, wenn man als Sohn erfährt, dass die eigene Mutter ein Ungeheuer war – so eine Erfahrung würde ich meinem Ehemann ersparen wollen. Oder hat Martha das Buch ungelesen zu Roswithas Sachen gepackt – aus Respekt vor Roswithas Privatsphäre oder aus Desinteresse?
    Aber war Roswitha denn wirklich das Ungeheuer, das sie auf den ersten Blick gewesen zu sein scheint? Immerhin ist sie unter der Naziherrschaft groß geworden, sie hat nie etwas anderes gehört, als dass Juden schlecht und minderwertig seien. Und dann kommt so eine aus der Stadt und erobert ihren Liebsten im Sturm. Ist es da nicht menschlich, wie sie sich verhalten hat? Ja – sagt sich Jule. Das Problem ist nur, dass der Mensch im Kern meist schlecht ist und nur selten edel, hilfreich und gut. Roswitha hätte die Sommerfelds ja auch vor der bevorstehenden Aktion Lauterbacher , wie diese Maßnahme später in den Geschichtsbüchern genannt wurde, warnen können. Auf diese Art wäre sie ihre Rivalin Lydia ebenfalls losgeworden und hätte vor Heiner sogar
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