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Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Titel: Tote Maedchen schreiben keine Briefe
Autoren: Gail Giles
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Schauspielunterricht gearbeitet.«
    »Hör auf damit.« Mein Kopf pochte im gleichen Rhythmus wie mein Herz. Ich trat einen Schritt auf sie zu. »Hör sofort auf damit und sag mir die Wahrheit.«
    »Die Wahrheit? Die ganze Wahrheit steht da schwarz auf weiß. Oder besser: blau auf weiß. Schwarze Tinte mochte ich noch nie. Keine Sorge, die anderen Studenten in meinem Kurs haben nie geglaubt, dass es in einer Familie so viele Geisteskranke geben kann.«
    »Du bist nicht meine Schwester.« Meine Stimme war hart und kalt.
    »Sunny, Sunny. Ich weiß, du wünschtest, ich wäre tot, aber finde dich damit ab, ich bin es, die vor dir steht, kleine Schwester.«
    »Du bist nicht Jazz. Wer bist du? Warum tust du das?«
    Das Mädchen richtete sich auf, schüttelte ihr Haar, streckte sich träge und stand plötzlich vor mir, zu nah, zu schnell. Die Augen waren gar nicht mehr gefühllos, in ihnen blitzte jetzt eine lebhafte Lust zu töten. Ihre Stimme war nicht länger samtig, sondern ein tiefes Zischen, gefährlich wie Fangzähne.
    »Krieg dich wieder ein, Sunny. Du willst die Wahrheit nicht sehen. Du willst nicht, dass ich wieder hier bin, weil du dann wie früher armselig am Boden herumkriechen musst, um die Krümel zusammenzukratzen, die ich übrig lasse. Aber so ist es nun mal. Ich bin gekommen, um zu bleiben.«
    Das Mädchen trat zurück und ihre Haltung war wieder ganz Ruhe und Gelassenheit. Sie setzte ein selbstgefälliges breites Grinsen auf, während sie im Vorbeirauschen sagte: »Und tschüss, Schätzchen! Ich muss wieder runter. Mom scheint ohne mich nicht klarzukommen.« Sie blieb kurz auf der Schwelle stehen und lehnte sich an den Türrahmen. »Das weißt du, nicht wahr, Sunn?«
    Ich stolperte ins Badezimmer, drehte den Hahn auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Moms Worte, dass mich Wasser als Baby beruhigt habe, schlichen sich in den Wust meiner Gedanken. Immer noch dieselbe alte Sunny, immer auf der Suche nach Trost von außen. Ich richtete mich ruckartig auf und starrte mein nasses Gesicht im Spiegel an. Mit einem Handtuch rubbelte ich mir unsanft das Gesicht trocken, malträtierte, reizte meine Haut.
    Dann warf ich das Handtuch beiseite und marschierte, Türen knallend, über den Flur ins Arbeitszimmer, wo ich die Tür hinter mir schloss. Ich griff zum Telefon und erklärte der Vermittlung, dass ich eine Nummer in Dobbins Bend, Maryland, benötigte. Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als man mir einen schönen Tag wünschte. Gleich darauf fragte mich eine andere betont muntere Stimme, wie sie mir helfen könne, und ich schnappte mir einen Bleistift.
    »Ich bin auf der Suche nach jemandem in Dobbins Bend. Der Nachname ist Mallory, aber den Vornamen kenne ich nicht. Ich suche nach einer alten Freundin, ihre Eltern leben dort. Es geht um ein Ehemaligentreffen der Studentinnenverbindung. Sie wissen ja, wie das ist.« Wenn es darauf ankam, konnte ich beim Lügen beide, Jazz und Nicht-Jazz, in die Tasche stecken.
    »Natürlich, also, mal sehen ... es gibt zwei Mallorys. Hey, Sie haben Glück. Die eine Nummer ist eine Geschäftsnummer, also muss die andere die Privatnummer sein.« Miss Munter gab mir die Nummer und wünschte mir ein fantastisches Ehemaligentreffen.
    Ohne zu zögern, wählte ich die angegebene Nummer. Während es klingelte, sammelte ich mich, um meiner Stimme einen festen Klang zu geben.
    »Ja, hallo?« Die Stimme klang weich.
    »Hallo, bin ich mit Mallory verbunden?«
    »Ja, aber wenn das ein Werbeanruf ist ...«
    »Nein«, unterbrach ich. »Ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll, aber ich benötige einige Informationen. Es geht um meine Schwester.«
    »Ihre Schwester? Kenne ich sie?«
    »Ich weiß nicht, aber ...« - ich sprach hastig - »kennen Sie eine Rhonda Mallory?«
    Es folgte ein langes Schweigen. Ich hörte mein Herz in den Ohren pochen.
    »Bevor ich darauf antworte, müssen Sie mir sagen, wer Sie sind und warum Sie das wissen wollen.« Die Frauenstimme klang ruhig, ja sogar freundlich, doch der Unterton war stählern.
    »Ich bin Sunny Reynolds. Ein Mädchen namens Rhonda Mallory soll sich angeblich im vergangenen Jahr mit meiner großen Schwester in New York die Wohnung geteilt haben. Und ich muss sie finden, um ihr einige Fragen zu stellen.«
    Wieder Schweigen. Als die Frau erneut das Wort ergriff, schwang Müdigkeit mit. »Hört das irgendwann einmal auf?«, fragte sie.
    Ich erwiderte nichts. Die Frage war nicht an mich gerichtet.
    Eine lange Minute verstrich, dann
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