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Tote lieben laenger

Tote lieben laenger

Titel: Tote lieben laenger
Autoren: Scott Nicholson
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Plastiktüte, die man mit kratzender Baumwolle ausgestopft hatte. Ich öffnete die Augen und sah die Decke meines Apartments. Wenn man ganz genau hinguckte, konnte man in den Wirbeln des Stucks Gesichter erkennen. Ein Gesicht, um es genauer zu sagen, das von Diana in zwanzigfacher Ausführung. Sie schien sich darüber zu freuen, dass ich tot war.
    Ich erhob mich, nun als echter Geist und nicht als Mensch mit schwerer Bürde, der ein paar tausend Sit-ups nachzuholen hat. Ich sah mich schnell um, in der Hoffnung, den Täter auf frischer Tat ertappen zu können. Natürlich hätte ich mir denken können, dass ich meine Glaubensprüfung nicht auf so einfache Weise bestehen würde. Es war kein Angriff aus nächster Nähe gewesen.
    Das Zimmer war genau so, wie ich es zurückgelassen hatte, abgesehen davon, dass eine Wand vier Löcher in der Gipskartonplatte aufzuweisen hatte. Eine der Kugeln hatte meinen Haustierkalender durchlöchert, genau durch den Beagle, der zu Mister Dezember ernannt worden war. Eine andere hatte meinen künstlichen Weihnachtsbaum rasiert und eine Zuckerstange aus Plastik halbiert. Die Uhr an der Wand verkündete fünf vor vier und schien noch zu ticken. Das gab mir reichlich Trost, auch wenn es bedeutete, dass meine Möglichkeiten, den Fall zu lösen und meine Seele zu retten, davontickten.
    Die Wand mit den Löchern war Richtung Norden, also waren die Kugeln aus dem Süden gekommen, durch das offene Fenster. Ich schwebte zum Fenster und blickte hinaus. Los Angeles lag ausgebreitet vor mir wie die kaputten Spielzeuge auf dem Boden des Zimmers eines ungezogenen Jungen.
    Der Scharfschütze musste in einem der Gebäude auf der anderen Straßenseite gewesen sein. Ein aus künstlichen Lehmziegeln gebautes Motel, das seine Zimmer stundenweise vermietete, schien die wahrscheinlichste Wahl. Aber als Detektiv hatte ich gelernt, dass die wahrscheinlichste Wahl häufig die falsche Wahl ist. Diese Lektion hatte ich auch als Mann lernen müssen, zumindest wenn es galt, in die Schlangengrube zu steigen, die man weibliche Liebe nennt.
    Ich blickte mich weiter um. Das Antiquariat und der armenische Lebensmittelladen waren im Erdgeschoss, und meine Bleibe war im zweiten Stock. Die Scientologen hatten ein paar Bücher von Hubbard unter einem Neonstern in ihrem Vorderfenster aufgereiht, aber ihre Gemeinde schien geschlossen zu sein. Aus all diesen Orten war der Winkel für einen guten, sauberen Schuss ungeeignet. Ich wandte meinen Blick nach rechts. Das Hollywood Hype. Treffer.
    Das Hollywood Hype war eine dieser tollen Kombinationen aus einem Laden mit kitschigen Souvenirs im Erdgeschoss und Suiten darüber. Mir gegenüber waren vier Fenster, die zu Zimmern gehörten, die nach Filmstars benannt waren. Die Marilyn Monroe Suite, die James Dean Suite, die Ginger Rogers Suite und so weiter. Es war die Art von Absteige, die bei Touristen begehrt ist, die dann zu Hause vor ihren Freunden damit prahlen wollen, dass sie in Marilyns Zimmer ihren Spaß gehabt hatten. Jedes Zimmer war geschmacklos mit alten Filmfotos dekoriert und mit Gedenkhandtüchern ausgestattet, "einzigartige" Artikel, von denen die Leitung des Hype hoffte, dass sie von den Gästen als Souvenirs gestohlen wurden. Damit sie dann dafür einen happigen Preis über die Kreditkarten der Gäste berechnen konnten.
    Ich war gerade auf dem Weg zur Tür und ins Treppenhaus, als ich mich daran erinnerte, dass ich ein Geist war. Mit ein wenig Willensanstrengung gelang es mir, meine Hand durch die Wand zu strecken. Toll. Der Fall würde mir Freude bereiten. Aber ich spekulierte auch über die "Kosten", vor denen mich meine Jenseitssachbearbeiterin gewarnt hatte.
    Ich blickte mich in meinem Apartment um, dann auf meinen Körper. Ich sah ziemlich dämlich aus, mit geöffnetem Mund, so als ob man mir eine Algebra-Aufgabe gestellt hätte. Mein Hosenschlitz war halb offen, an meinem Hemd fehlte ein Knopf und ich hatte Kragenschmutz. Und ich war nicht ganz so attraktiv, wie ich mir das immer eingebildet hatte. Es geht nichts darüber, tot zu sein, wenn man eine gewaltige Dosis Realitätssinn verpasst bekommen möchte.
    Ein roter Fleck breitete sich auf dem ausgefransten Teppich aus. Ich kniete nieder und durchwühlte meine Taschen, genau so, wie wenn der Körper zu jemand anderem gehören würde. Der Vorteil daran, tot zu sein, war, dass ich mir keine Gedanken über Fingerabdrücke machen musste. Natürlich würden es meine sein, und es ist anzunehmen, dass meine
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