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Tote lieben laenger

Tote lieben laenger

Titel: Tote lieben laenger
Autoren: Scott Nicholson
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sogar auf die Stirn geküsst hat. Der erste Kuss in zwei Jahren."
    Er lächelte und sein einsamer Zahn funkelte wie ein abgebrochenes Kaugummidragee. Ich wendete mich von seinem Nachruf-Gesicht ab und prüfte die Löcher in meiner Brust. Ich bin eher kombinatorischer Natur, jemand, der gerne all die kleinen Teile zusammensetzt. Ich ziehe es vor, die Dinge kommen zu sehen, so dass ich mich vorbereiten kann. Böses Erwachen habe ich immer gehasst, egal wie langsam es über mich kommt.
    Wie jeder andere Mensch hatte ich geglaubt, unsterblich zu sein. Nicht im Sinne eines Lebens nach dem Tod oder der unsterblichen Seele, sondern einfach in dem Sinn, dass ich diesen klumpigen Sack Fleisch, den ich seit vierzig Jahren herumschleppte, ziemlich gern hatte. Ich hatte mich sogar an das schiefe Gesicht mit den Bartstoppeln gewöhnt, das mich jeden morgen aus dem Spiegel anstarrte. Der Tod war eine dieser rein intellektuellen Angelegenheiten, über die Dichter in der High School diskutierten, während sie definitiv nicht bei den Frauen landeten. Der Tod war etwas, das immer nur andere betraf, niemals einen selbst.
    "Ja, es hat mich auch aus der Bahn geworfen, als ich's zum ersten Mal verstanden hab", sagte der Crashtest-Dummy neben mir.
    "Wie ... wie lange bist du schon tot?" Das war eine Frage, von der ich nie gedacht hatte, dass ich sie jemals stellen würde, auch wenn mich oft genug mit Leichen herumgeschlagen hatte. Es ist auch eine Frage, von der ich nie gedacht hatte, dass ich je eine Antwort darauf bekommen würde. Wie jeder andere auch hatte ich ein paar Sachen von Stephen King gelesen, einige Folgen von "Akte X" gesehen und sogar die guten Stellen in der Bibel überflogen – wo Jesus verraten und gekreuzigt wird, und natürlich die Offenbarung mit all dem blutigen, Furcht einflößenden Zeug. Und jetzt saß ich hier und wartete darauf, von einem Fremden über die Tatsachen des Lebens – oder besser des Ablebens – aufgeklärt zu werden.
    "Ungefähr fünf Tage, nach irdischer Rechnung. Ist mein zweiter Durchgang. Hast bestimmt schon festgestellt, dass das mit der Zeit hier ziemlich seltsam ist. Ungefähr so, wie wenn du mit dem Bus nach Cleveland fahren willst. Kannst es nicht erwarten, den Bus zu besteigen, hast es dann eilig, endlich anzukommen, fürchtest dich aber gleichzeitig davor, wohin der Bus dich bringt."
    "Weshalb bist du hier? Wohin gehen wir? Was passiert nun?" Ich fing an, eine Menge Fragen zu stellen. Vermutlich sterben menschliche Angewohnheiten sehr viel schwerer als die Menschen selbst.
    "Oh, ich wurde zurückgepfiffen, weil ich auf meinem Antrag gelogen hatte", sagte er. "Auf das Begräbnis sollte eigentlich die Beförderung ins Jenseits folgen. Aber bei den ganzen Vorschriften hier landet man mit Sicherheit bei der Sozialhilfe, bevor man richtig schön tot ist."
    Er hielt eine Aktenmappe hoch, die mit genug Blättern vollgestopft war, um ein prächtiges Opferfeuer abzuhalten. "Ich bin, was sie hier 'Zwischenmensch' nennen. Ich war auf dem Weg zur Kirche mit meiner Alten, als so ein Vollpfosten in einem Pick-up vor mir bei Rot über die Ampel fuhr. Als meine Seele davonschwebte, sah ich noch, wie er ausstieg und zu meinem auf der Seite liegenden '64er Buick ging. Ich hatte nur noch drei Raten für das Teil abzuzahlen, und nun war es Schrott. Der Vollidiot hatte nicht mal einen Kratzer."
    "Und deine Frau?"
    "Hatte sich den Arm gebrochen und ein paar Fingernägel angeknackst. Der Vollidiot fragte sie nach ihrer Telefonnummer. Sie hat sie ihm gegeben. So viel zum Thema böses Erwachen."
    "Moment mal", sagte ich. "Ich kann mich weder daran erinnern, wie ich ermordet wurde, noch daran, geschwebt zu sein."
    Buick-Hirn zuckte mit den Schultern. "Vielleicht ist das von Mensch zu Mensch verschieden. Da wirst du jemand von den Experten fragen müssen." Er nickte Richtung Korridor, wo ein halbes Dutzend Bürotüren zu sehen war.
    Ich überlegte mir, dass es an der Zeit war, zu handeln. Außerdem begann Buick-Hirn ziemlich unangenehm zu riechen. Oder vielleicht kam der Geruch von dem Kotelettgesicht auf der anderen Seite des Saals. Oder vielleicht sogar von mir.
    Ich versuchte, aufzustehen, aber mein Hintern fühlte sich an wie ein Sack nasser Zement. Die Gravitation schien hier ziemlich ausgeprägt zu sein. Und ich hatte gedacht, Geister seien leicht, flüchtig und in der Lage, hin und her zu irrlichtern. Tot zu sein erwies sich als eine furchtbare Form der Radikaldiät.
    "Du musst warten, bis sie dich
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