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Tote Kehren Nicht Zurück

Tote Kehren Nicht Zurück

Titel: Tote Kehren Nicht Zurück
Autoren: Granger Ann
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grinste sein Spiegelbild selbstgefällig an.

    »Du sagst es. Aber nicht ich. Noch nicht, wie?« Er nickte seinem Spiegelbild ein letztes Mal zufrieden zu, was einen schuldbewussten Stich in ihm hervorrief – nicht, weil er sich selbst in einem eitlen Augenblick überrascht hatte, sondern weil er an seine Frau denken musste. Hier stand er und ergab sich in Eitelkeiten, während Carla, die alte treue Seele, dort oben im Dunkeln lag und sich vor Schmerzen krümmte. Eine absolut unberechenbare Sache, Migräne. Warf sie ohne jede Vorwarnung um. Sie musste irgendetwas gegessen haben, was den Anfall ausgelöst hatte. Das war üblicherweise der Fall, wenn auch nicht immer. Sie hatte heute in London gegessen, auf irgendeinem Treffen mit anderen Schriftstellern, und als sie nach Hause gekommen war, hatte sie bereits die ersten Anzeichen eines Anfalls gehabt, pulsierende Kopfschmerzen, blasse Gesichtsfarbe und aufsteigende Übelkeit. Mit dem klagenden Ausruf

    »Elende Mousse au Chocolat!« war sie nach oben gestolpert und auf dem Bett zusammengebrochen, und seither hatte sie sich nicht mehr gerührt. Andrew hatte oft Schuldgefühle wegen Carla. Gelindert wurden sie durch die Tatsache, dass sie in beruflicher Hinsicht eine äußerst erfolgreiche Frau war und sich einen Namen gemacht hatte. Für Langeweile war keine Zeit. Manchmal fragte er sich jedoch, ob sie sich in Wirklichkeit nicht viel mehr eine erfolgreiche Ehe mit ihm gewünscht hätte und dass dieser Wunsch irgendwie beiden entgangen war. Er hatte, wie es im Innern viele Männer taten, von Abenteuern geträumt, von Reisen und von Dingen, die er als Herausforderungen ansehen konnte. Es waren die Sehnsüchte eines langweiligen, bücherversessenen Kindes gewesen, die sich im Erwachsenenalter zu einer Art spielerischer Cleverness verwandelt hatten. Doch nun stand das mittlere Alter vor der Tür, und mit ihm waren die ersten beunruhigenden Untertöne einer unangenehmen Wahrheit laut geworden. Dass all seine Träume Fantasie geblieben waren. Dass er nichts getan hatte, was andere vor ihm nicht ebenfalls vollbracht hätten. Dass er über einen Pfad getrottet war, den vor ihm Generationen von im Grunde genommen langweiligen Männern ausgetreten hatten. Und irgendwo auf diesem Weg zwischen Fantasie und Realität hatte er Carla schreckliches Unrecht zugefügt. Erneut brachte er sein schlechtes Gewissen zum Schweigen. Gott im Himmel, sie waren seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet! Man konnte nicht sagen, die Ehe hätte nicht funktioniert. Im Kreis ihrer Freunde und Bekannten bedeutete ein Vierteljahrhundert mit ein und dem gleichen Partner so etwas wie einen einsamen Rekord. Wie es aussah, hatte er den Abend und das Haus für sich allein. Noch drei Tage, bis er wieder nach Brüssel musste. Drei Tage, die er wirklich besser nutzen sollte, um liegen gebliebene Angelegenheiten zu erledigen. Das Dumme mit langfristigen Arrangements war, dass, wenn sie dann tatsächlich endeten, niemand auf das Danach vorbereitet war. Es war ein Schock, der ihn fast in Depressionen hatte fallen lassen, wie kompliziert all das war. Nicht imstande zu sein, die Sorgen zu zeigen oder mit jemandem zu teilen, war ebenfalls schwierig, und nach so vielen Jahren hatte es ihn sehr traurig gemacht. Erneut meldete sich das schlechte Gewissen und wies darauf hin, dass das Bedauern in seinem Fall durchaus mit Erleichterung verbunden gewesen war. Was ihm in jüngeren Jahren nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet hatte, war mit den Jahren zu einer herkuleanischen Kraftanstrengung geworden. Nicht die sexuelle Seite, sagte er sich hastig. Nein, die Ausflüchte. Die verschiedenen Geschichten, die Anstrengung, sich nicht zu verplappern. Die eine Sache, die er nie gewollt hatte, sagte er sich, wie es alle selbstsüchtigen Männer taten, war, Carla zu verletzen. Er hatte stets endlose Schwierigkeiten auf sich genommen, um seiner Frau nicht wehzutun. Er fühlte sich rechtschaffen, als er nun in die Küche ging und den elektrischen Wasserkocher einschaltete, während ein abgestumpfter Gedanke dem nächsten folgte, unbeachtet wie die schrillen Reklameschilder an einem langen Bauzaun. Mach dir eine Tasse Tee, sieh ein wenig fern, wirf einen Blick in die Zeitung, geh zu Bett. Schlaf im Gästezimmer und lass die arme alte Carla allein in ihrem Elend. Eine Schande. Während der Wasserkocher langsam anfing zu rauschen, ging er zum Fenster und sah nach draußen in den Garten hinter dem Haus. Das Merkwürdige an diesem
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