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Tote Kehren Nicht Zurück

Tote Kehren Nicht Zurück

Titel: Tote Kehren Nicht Zurück
Autoren: Granger Ann
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selbst wenn es so war, fiel es Meredith schwer, sich einen Grund für dieses Verhalten vorzustellen. Die junge Frau hatte ausgesehen wie aus der Oberschicht. Um diese Tageszeit, wo die meisten Leute in ihre Häuser zurückkehrten, schien es unwahrscheinlich, dass ein Einbrecher unterwegs war – und falls doch, so war es noch viel unwahrscheinlicher, dass er sich von möglichen späteren Zeugen mitnehmen ließ. Meredith zwang sich zu einem knappen Lächeln, erwiderte den Abschiedsgruß und machte Anstalten zu fahren.

    »Das Dumme mit dir ist«, schalt sie sich,

    »dass du mit einem Polizisten befreundet bist. Das hat dich misstrauisch gemacht.« Meredith sah in den Rückspiegel, wo sich die schlanke Gestalt abwandte und das dunkle Tor von Tudor Lodge passierte, um im Dämmerlicht der Gärten dahinter zu verschwinden. Meredith hörte den Raben nicht, der sich stets als letzter der gefiederten Bewohner eines Gartens zur Nachtruhe niederlässt. Als der Rabe sein Territorium zur Abendpatrouille überflog und den Eindringling erspähte, stieß er ein lautes, sich wiederholendes Krächzen aus. Es war auch gar nicht nötig, dass sie ihn hörte. Denn trotz aller Bemühungen, ihre Befürchtungen zu unterdrücken, war in Meredith genau wie in Eddie Evans zuvor das beunruhigende Gefühl haften geblieben, etwas Unheilvollem Vorschub geleistet zu haben.

    KAPITEL 2
    ANDREW PENHALLOW klopfte an der Schlafzimmertür.

    »Wie geht es dir jetzt?«, fragte er leise. Aus dem Zimmer dahinter murmelte seine Frau mit schmerzerfüllter Stimme eine unverständliche Antwort. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit. Die Vorhänge waren zugezogen und sperrten das wenige noch vorhandene Tageslicht aus. Das Mobiliar des Schlafzimmers war nur in undeutlichen Umrissen zu erkennen. Auf dem Bett in der Mitte des Raums erkannte er eine zusammengekrümmte Gestalt: Carla, seine Frau, bot ein Bild des Elends.

    »Entschuldige«, sagte er hilflos.

    »Kann ich etwas für dich tun?«

    »… sterben«, stöhnte das Häufchen Elend.

    »Ein Aspirin?«

    »Nein … geh weg … danke …« Er schloss leise die Tür und kehrte über die knarrende Eichentreppe nach unten zurück. Das Haus war von einer warmen, dumpfen Stille erfüllt. Mehr als einmal hatte Andrew gedacht, dass in diesem alten Gebäude während der Dämmerung die Vergangenheit zum Leben erwachte. Es war, als kämen die Geister all jener, die unter diesem Dach gelebt hatten, aus ihren Verstecken hervor, um Geschichten über längst vergangene Lieben und Abenteuer auszutauschen. Um darüber zu jammern, dass sie tot waren, oder sich über die gegenwärtigen Bewohner lustig zu machen. In einem Anflug barocker Fantasie fragte er sich, ob er sich eines Tages zu ihnen gesellen würde. Vielleicht hätte er einen Lieblingsplatz zum Spuken, dort neben dem geschnitzten Pfosten der Treppe, von wo aus er seine Nachfolger beobachten würde, wenn sie hinauf- und hinunterrannten, und sie verspottete, unsichtbar und lautlos. Wenn man erst einmal tot war, so vermutete Andrew, hatte man nicht mehr allzu viele Möglichkeiten. Man musste daraus machen, was man konnte. Andrew stand achtzehn Monate vor seinem fünfzigsten Geburtstag. Die große Fünf-Null rückte unbehaglich näher. Es deprimierte ihn weniger, als dass es ihn mürrisch machte. Er fürchtete, dass er anfing, die verschrobenen alten Leute zu verstehen, die ununterbrochen über die moderne Jugend schimpften. In Wirklichkeit schimpften sie natürlich darüber, dass sie selbst nicht länger jung waren. War es nicht George Bernard Shaw gewesen, der gestöhnt hatte, dass Jugend bei den Jungen verschwendet war? Würde zu ihm gepasst haben, dachte Andrew. Doch wer auch immer sich so einen Bart wachsen ließ und in Knickerbockers herumlief, hatte sich bestimmt längst von allen jugendlichen Geschmäckern abgewandt. Am Fuß der Treppe blieb Andrew stehen und gestattete sich einen Blick auf das glatt rasierte Spiegelbild an der Wand. Er war nie attraktiv gewesen. Im Lauf der Jahre hatte er ein wenig zugenommen, was ihm seiner Meinung nach Ausstrahlung und Würde verlieh – die Aura eines erfolgreichen Mannes. Und allzu schlecht sah er auch nicht aus. Einigen seiner Altersgenossen war es viel schlimmer ergangen. Gottgleich als Jugendliche, hatten sie im Lauf der Jahre nicht nur die Haare und die Figur verloren, sondern auch ihren sexuellen Antrieb. Ohne Zähne, ohne Augen, ohne Geschmack, ohne alles.

    »Das ist richtig, Will, alter Junge«, murmelte Andrew und
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