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Tote Kehren Nicht Zurück

Tote Kehren Nicht Zurück

Titel: Tote Kehren Nicht Zurück
Autoren: Granger Ann
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indem er sich in triviale Höflichkeiten flüchtete. Er hatte seiner Besucherin eine Tasse Tee eingeschenkt und ihr ein Stück Kuchen angeboten. Es verschaffte ihm ein wenig Zeit zum Nachdenken, wenn schon nichts anderes. Er hatte immer noch keine Ahnung, wie er seine Zwangslage lösen konnte. Sie hatte den Tee angenommen, doch nicht den Kuchen, und nun saß sie in einem Windsor-Sessel am Tisch und wartete. Ihre Hände ruhten auf den geschwungenen Armlehnen aus poliertem Holz. Zu ihren Füßen lag die khakifarbene Tasche, eine Art Proviantbeutel, wie er in Armeebekleidungsläden verkauft wurde. Ihr hübsches Gesicht, das ihn ausdruckslos unter der prachtvollen Mähne hervor ansah, erinnerte ihn unwillkürlich an eine Venus von Botticelli. Sie hatte ihn völlig in ihrer Gewalt. Es war keine Situation, die er genoss oder die länger andauern durfte als unbedingt nötig. Es gab immer einen Ausweg. Er war ausgebildeter Anwalt und war gut darin, Schlupflöcher zu finden. Diese – vorübergehende – Hilflosigkeit war eine sowohl neue als auch unerfreuliche Erfahrung für ihn. Er zerbröselte nervös seinen Kuchen zwischen den Fingern, was den Schweiß an den Händen noch klebriger machte.

    »Du hättest wirklich nicht herkommen sollen, Kate«, sagte er.

    »Bist du denn nicht froh, mich zu sehen?« Endlich rührte sie sich, zu seiner großen Erleichterung, doch nur, um an ihrer Teetasse zu nippen. Er fragte sich, ob sie überhaupt etwas getrunken oder ob sie nur so getan hatte. Es gab eine ganz ähnliche Episode in Der Graf von Monte Christo, wenn er sich recht entsann: Der verkleidete Held der Geschichte, in der Absicht, jene zur Strecke zu bringen, die ihn betrogen haben, besucht das Haus eines der Schurken und liefert ihm einen Hinweis auf seine wahre Identität, indem er sich weigert, etwas zu essen oder zu trinken. Das Brot mit einem Feind zu brechen hätte bedeutet, sich selbst den Luxus der Rache zu versagen. War es das, was sie wollte? Irgendeine Art von Rache? Die Frage brannte Andrew auf der Zunge, doch er wagte nicht sie auszusprechen. Zur gleichen Zeit sagte er sich, dass die Vorstellung Unsinn war. Sie war lediglich gekommen, weil sie ihn sehen wollte.

    »Selbstverständlich bin ich froh, dich zu sehen, Liebling«, antwortete er.

    »Aber nicht hier … ich meine, meine F…« Er brachte es nicht fertig, das Wort in ihrem Beisein auszusprechen.

    »Carla ist oben.«

    »Ah.« Spott funkelte in ihren grauen Augen.

    »Sie könnte herunterkommen und uns überraschen? Dein kleines schuldbewusstes Geheimnis entdecken?«

    »Sie ist krank«, entgegnete er kalt.

    »Sie leidet an Migräne. Sie wird nicht nach unten kommen, und ganz ehrlich, Kate, ich mag die Art und Weise nicht, wie du das gesagt hast. Es gibt kein kleines schuldbewusstes Geheimnis.«

    »Oh. Sie weiß also Bescheid?« Andrew errötete und wurde zornig.

    »Nein! Ich habe nie … es war nicht nötig.«

    »Also doch ein Geheimnis.«

    »Na schön, wenn du es so willst, ja, es ist ein Geheimnis. Aber nein – es hat nichts mit Schuld zu tun.« Er wusste sogleich, dass er einen Fehler begangen hatte. Irgendein verdammter freudianischer Impuls hatte ihm die Worte in den Mund gelegt. Wenn es keine Frage von Schuldbewusstsein war, warum hatte er dann überhaupt davon angefangen? Warum hatte er sich in die Defensive drängen lassen, wenn es nichts gab, dessen er sich zu verteidigen hatte? Wäre Andrew irgendein einfacher Übeltäter vor dem Richter gewesen, hätte jeder halbwegs gescheite Staatsanwalt diesen Versprecher bemerkt und seine Aussage in der Luft zerrissen! Mit einem Mal hatte er das unangenehme Gefühl, ein bloßer Zuschauer zu sein – als hätte er sich zu den Geistern gesellt, über die er vorhin sinniert hatte, als sähe er sich dort sitzen, wie er schwitzte und über seine eigenen Worte stolperte. Wie lächerlich er aussehen musste, wie lächerlich seine Worte klangen! Das Bild, das er erst kurze Zeit zuvor von sich heraufbeschworen hatte, wich dem wenig schmeichelhaften Anblick eines stümperhaften, wichtigtuerischen Trottels. Kalter Angstschweiß brach ihm aus, und er fragte sich, ob es das war, was sie sah, wenn sie ihn anblickte. Sie konnte dieses fatale Wort unmöglich überhört haben. Er fürchtete sich davor, dass sie ihn auslachen könnte. Doch stattdessen sagte sie plötzlich kühl:

    »Du hast dich nicht gemeldet.« Das war es also. Fast wäre er vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen. Sie war gekränkt, und deswegen war
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