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Tote essen kein Fast Food

Tote essen kein Fast Food

Titel: Tote essen kein Fast Food
Autoren: Karin Baron
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ihrer Stelle war. Leblos hing ihr Körper auf dem kalten Gestein. Der Kopf ruhte oberhalb der Holzpalette, ihre Augen waren geschlossen.
    Sie war zarter, als ich sie in Erinnerung hatte. Die Haareklebten ihr ums Gesicht wie störrische Rabenfedern. Ein dünnes hellrotes Rinnsal sickerte aus einer Wunde an der Schläfe und mäanderte, von der hochspritzenden Gischt zerstäubt, über ihre rechte Wange, wo es sich mit Spuren schwarzer Schminke vermischte. Ihr linker Fuß war zwischen zwei Betonteilen eingeklemmt und wirkte seltsam verdreht. Wie die Klaue eines Raubvogels krallte sich ihre linke Hand um eine schmale, aufgeweichte Pappschachtel mit blauen Streifen, deren obere Lasche abgerissen war und den Blick auf zehn Blisterfolien mit Tabletten frei gab.
    Es war Mia, daran bestand kein Zweifel, auch wenn sie der trotzigen Punk-Göre aus der Zeitung kaum mehr ähnelte. Zerbrechlich sah sie aus, wie sie da durchnässt und leblos zwischen der düsteren Betonstruktur hing, und überhaupt nicht mehr bedrohlich, so wie gestern Nacht bei dem Loch im Stollen oder noch vor ein paar Tagen, als ich mit Jan den Bunker unter dem Sansibar besichtigt hatte. Und sie lebte! Jan und ich waren nicht zu spät gekommen. Mia lebte.
    Bevor Jan behutsam ihren Kopf auf sein klitschnasses Sweatshirt bettete, reichte er mir sein Handy. Mein eigenes konnte ich vergessen. „Martin“, schluchzte ich in das viereckige Hightech-Teil mit den abgerundeten Ecken, das mir an diesem Ort seltsam unwirklich erschien. „Martin ...“
    â€žFanny, zum Teufel, was fällt euch eigentlich ein?“, schnaubte er, als er erkannte, wer dran war. „Wir stehen hier auf dem Polizeirevier und warten auf euch. Wo bleibt ihr? Und was ...?“ Dann ließ er mich endlich reden, räusperte sich einmal deutlich und setzte umgehend Kommissar Kramer und seine Truppe davon in Kenntnis, dass wir Mia gefunden hatten. Und wo.
    â€žBis gleich, Papa“, murmelte ich, bevor ich Jan das Handy zurückgab. Und „alles wird gut, Mia, ganz bestimmt“. Der Wind wehte meine gestammelten Worte von meinen Lippen, während ich Mias eiskalte Hand hielt und zitternd vor Kälte mit Jan auf Hilfe wartete. Ich weiß nicht, wen ich damit mehr beruhigen wollte – sie oder mich selbst.
    Binnen Minuten waren die Kollegen von der Hörnumer Polizeistation vor Ort. Jede einzelne von ihnen kam mir vor wie eine Stunde. Aus Westerland heulte mit Blaulicht ein Krankenwagen heran, dessen Besatzung sich zu uns auf den steinernen Wall quälte und begann, so vorsichtig wie möglich den geschundenen Körper zu bergen. Mithilfe eines motorisierten Schlauchboots der Wasserwacht brachten sie Mia an Land.
    Ungefähr zur gleichen Zeit holperten schließlich Martin, Svea und Frida auf den Strand, im Jeep, der nach drei Metern im Sand stecken blieb und dabei laut aufjaulte. Ebenso wie Jasper auf dem Rücksitz, den noch immer keiner aus seinem Unterhemd befreit hatte. Er sah darin aus wie E.T. auf der Flucht in seine extraterrestrische Heimat.
    Mias Lider flackerten, aber sie war nach wie vor ohne Bewusstsein, als sie sie auf einer Stabilisierungstrage in den Krankenwagen schoben. Oberhalb ihres Handgelenks steckte ein Infusionsschlauch und man hatte eine knisternde Aluminiumdecke über sie gebreitet, um sie warm zu halten. Jan und ich bekamen auch eine Decke über die Schultern und irgendwer reichte uns einen Becher Kaffee. Trotzdem fing ich an, mit den Zähnen zu klappern und zu heulen wie ein Schlosshund, als ich meinen Vater, Svea, Frida und Jasper von den Dünen her aus dem Nebel auftauchen sah. Vorihnen lief Kommissar Kramer, an der Seite von Lars-Igel. Er lächelte mir zu, als er neben Mia im Ambulanzwagen Platz nahm und ihre unverletzte Hand hielt. „Quitt“, sagte sein Blick. Und: „danke“. Seine katzengrünen Augen kamen mir plötzlich kein bisschen stechend mehr vor.
    Jan legte seinen Arm um mich.
    â€žUnd dann ritten sie zusammen in den Sonnenuntergang“, flüsterte ich matt und ließ mich kinoreif an seine nasse Brust sinken, während drei letzte salzige Tränen sich der Schwerkraft ergaben und mir im Schneckentempo übers Gesicht kullerten.

23
    â€žZum Geier noch mal, Frida!“, schrie ich von der Badezimmertür Richtung Küche. „Was haben deine verdammten Schlangenbabys in der Badewanne zu suchen?“
    â€žRühr sie nicht an“, rief Frida
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