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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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Lehrer respektvoll auf, schließlich war mein Vater Inspektor. Dann setzten sie sich und redeten, und bald war ich an der Reihe. Ich sah, wie mein Vater zu mir herschaute, herüberkam, mich mit der linken Hand an den Haaren packte und mir – zack! – mit der rechten eine verpasste. Dann ging er ohne ein weiteres Wort aus dem Klassenzimmer.
    Es waren allgemein schwere Zeiten. Härte gehörte einfach dazu. So gab es beim Zahnarzt beispielsweise keine Betäubung. Wenn man in solchen Verhältnissen aufwächst, vergisst man nie, wie man körperliche Strafen wegsteckt, selbst wenn das alles schon sehr lange her ist. Als Meinhard ungefähr vierzehn Jahre alt war, lief er einfach von zu Hause weg, wenn ihm etwas nicht passte. Er sagte mir dann: »Ich haue wieder ab. Aber sag niemandem was.« Er packte ein paar Sachen in seine Schultasche, damit niemand Verdacht schöpfte, und verschwand spurlos.
    Meine Mutter war jedes Mal ganz krank vor Sorge. Und mein Vater musste alle Gendarmerieposten in der Nähe anrufen und nach seinem Sohn fragen. Eine unglaublich effektive Form der Rebellion, wenn der Vater Polizeichef ist.
    Nach einem oder zwei Tagen tauchte Meinhard wieder auf, normalerweise war er bei irgendwelchen Verwandten, manchmal hatte er sich auch nur bei Freunden versteckt, die gerade einmal fünfzehn Minuten entfernt wohnten. Ich staunte immer, dass er nicht bestraft wurde. Vielleicht versuchte mein Vater, die Situation zu entschärfen. Als Polizist hatte er häufig mit Ausreißern zu tun und wusste, dass eine Bestrafung wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machen würde. Aber ich vermute, dass ihm das enorm viel Selbstbeherrschung abverlangte.
    Ich nahm mir vor, wenn ich einmal von zu Hause weggehen sollte, dann würde ich meine Unabhängigkeit besser organisieren. Da ich noch ein Kind war, überlegte ich mir, dass ich mich am besten vorerst um meine eigenen Angelegenheiten kümmerte und mein eigenes Geld verdiente. Jede Arbeit war mir recht. Ich hatte überhaupt kein Problem damit, eine Schaufel in die Hand zu nehmen und körperlich hart zu arbeiten. In den Sommerferien hatte mir ein Mann aus dem Dorf einen Job in einer Glasfabrik in Graz besorgt, bei der er arbeitete. Mir wurde ein großer Haufen Bruchglas gezeigt, den ich in einen Container auf Rädern schaufeln musste. Anschließend musste ich den Container über das Fabrikgelände zu einem Kessel schieben, wo das Glas eingeschmolzen wurde. Am Ende des Tages bekam ich meinen Lohn.
    Im nächsten Sommer hörte ich, dass es Arbeit in einem Sägewerk in Graz gab. Ich nahm meine Schultasche und machte mir ein Butterbrot, das reichen musste, bis ich wieder daheim war. Dann fuhr ich mit dem Bus zum Sägewerk, nahm meinen ganzen Mut zusammen, ging hinein und fragte nach dem Besitzer.
    Ich wurde samt Schultasche in sein Büro geführt. Der Sägewerkbesitzer saß am Schreibtisch und fragte: »Was willst du?«
    »Ich suche Arbeit«, antwortete ich.
    »Wie alt bist du?«
    »Vierzehn.«
    Er fragte: »Was willst du denn machen? Du hast doch noch gar nichts gelernt!«
    Er ging mit mir auf den Hof zu einigen Frauen und Männern, die an einer Maschine arbeiteten, mit der das Ausschussholz zu Brennholz verarbeitet wurde. »Hier wirst du arbeiten«, sagte er.
    Ich fing sofort an und arbeitete die ganzen Ferien im Sägewerk. Zu meinen Aufgaben gehörte unter anderem, große Mengen Sägemehl auf Lastwagen zu schaufeln. Ich verdiente 1400 Schilling, etwa 45 Euro, damals eine hübsche Summe. Aber besonders stolz war ich, weil ich den Lohn eines normalen Arbeiters erhalten hatte, obwohl ich noch ein Kind war.
    Ich wusste genau, wofür ich das Geld brauchte. Mein ganzes Leben lang hatte ich die abgelegten Sachen von Meinhard getragen, ich hatte nie eigene Kleidung bekommen. Damals hatte ich gerade mit Sport angefangen – ich war in der Fußballmannschaft der Schule – und zufällig kamen zu der Zeit auch die ersten Trainingsanzüge in Mode: schwarze lange Hosen und schwarze Trainingsjacken mit Reißverschluss. Ich fand die Trainingsanzüge einfach großartig und zeigte meinen Eltern sogar Bilder in Zeitschriften, auf denen Sportler in Trainingsanzügen zu sehen waren. Aber sie sagten natürlich nein, das sei Verschwendung. Also kaufte ich mir von meinem Verdienst sofort einen Trainingsanzug. Von dem übrigen Geld kaufte ich mir ein Fahrrad. Ich hatte nicht genug Geld für ein neues, aber in Thal gab es einen Mann, der Fahrräder aus gebrauchten Teilen zusammenbaute, und so ein
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