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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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zusammen. Das reichte, um im Spielzeugladen und im Kino so richtig einen draufzumachen!
    Die Sache hatte nur einen Haken: Ein Schüler wie ich, der sich mitten am Tag allein auf der Straße herumtrieb, war verdächtig. Außerdem kannten viele Leute in Graz meinen Vater. Es kam daher, wie es kommen musste – eines Tages erzählte jemand meinem Vater: »Ich habe heute in der Stadt Ihren Sohn auf der Straße gesehen, er hat eine Frau um Geld gebeten.« Daheim gab es natürlich großen Ärger und eine gehörige Tracht Prügel. Und damit war meine Schnorrerkarriere beendet.
    Dennoch beflügelten meine ersten Ausflüge in die Geschäftswelt meine Träume. Ich war absolut überzeugt, dass ich etwas Besonderes und zu Höherem geboren wäre. Ich wusste, dass ich eines Tages der Beste sein würde, allerdings wusste ich noch nicht, auf welchem Gebiet. Auf jeden Fall würde ich berühmt werden. Amerika war das mächtigste Land der Welt, also wollte ich dorthin.
    Derartige Träumereien sind für Zehnjährige nicht ungewöhnlich. Aber ich nahm meinen Traum von Amerika wirklich ernst und redete darüber. Beim Warten auf den Bus sagte ich einem Mädchen, das ein paar Jahre älter war: »Ich geh eines Tages nach Amerika.« Sie sah mich nur an und sagte: »Ja, gewiss, Arnold.« Die anderen Kinder gewöhnten sich daran, dass ich immer wieder darüber sprach, und hielten mich für sonderbar, aber das konnte mich nicht davon abbringen, allen von meinen Plänen zu erzählen – meinen Eltern, meinen Lehrern, den Nachbarn.
    Die Grazer Fröbelschule war nicht unbedingt darauf ausgerichtet, kommende Führungskräfte hervorzubringen. Als Hauptschule sollte sie die Schüler auf die Arbeitswelt vorbereiten. Jungen und Mädchen wurden getrennt in verschiedenen Flügeln des Gebäudes unterrichtet. Uns wurden Grundlagen in Mathematik, Naturwissenschaften, Geographie, Geschichte, Religion, modernen Sprachen, Kunst und Musik vermittelt, allerdings in einem langsameren Tempo als am Gymnasium, dessen Schüler später einmal die Universität oder eine technische Hochschule besuchen sollten. Nach dem Abschluss der Hauptschule ging man normalerweise auf die Berufsschule oder machte eine Lehre oder fing direkt an zu arbeiten. Trotzdem kümmerten sich die Lehrer engagiert um unsere Bildung und versuchten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten unser Leben zu bereichern. Sie zeigten Filme, luden Opernsänger ein und machten uns mit bildender Kunst und Literatur bekannt.
    Ich war so neugierig auf die Welt, dass mir die Schule keine sonderlichen Probleme bereitete. Ich lernte, machte meine Hausaufgaben und hielt mich immer im Mittelfeld der Klasse. Lesen und Schreiben verlangten mir einiges an Disziplin ab – ich hatte das Gefühl, dass ich mich darin mehr anstrengen musste als andere Klassenkameraden. Dafür fiel mir Mathematik leicht. Ich hatte ein hervorragendes Zahlengedächtnis und konnte gut kopfrechnen.
    In der Schule ging es genauso streng und diszipliniert zu wie zu Hause. Was Schläge betraf, standen die Lehrer unseren Eltern in nichts nach. Einmal wurde ein Junge erwischt, der den Stift eines anderen Schülers gestohlen hatte, und der Schulpriester schlug ihm mit dem Katechismus so fest auf den Kopf, dass ihm noch stundenlang die Ohren klingelten. Und meinem Freund schlug der Mathematiklehrer so hart auf den Hinterkopf, dass er mit dem Gesicht auf den Tisch prallte und zwei Schneidezähne abbrachen. Elterngespräche waren etwas ganz anderes als heute. Heute finden sie selbstverständlich nicht vor den Augen der Kinder statt, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Bei uns mussten alle dreißig Schüler brav auf ihrem Platz sitzen, und der Lehrer sagte dann: »Hier sind eure Aufgaben. Die bearbeitet ihr in den nächsten Stunden, während ich mit euren Eltern spreche.«
    Nacheinander kamen die Eltern herein, die Bauersfrau, der Fabrikarbeiter. Es war jedes Mal dasselbe. Sie grüßten den Lehrer mit großem Respekt und saßen still da, während er ihnen die Unterlagen auf seinem Pult zeigte und leise über die Leistung des Kindes sprach. Dann hörte man den Vater: »Aber manchmal ist er unfolgsam?« Und er wandte sich um, musterte seinen Sohn, stand auf, gab dem Kind eine schallende Ohrfeige und ging dann zurück zum Lehrerpult. Wir sahen so etwas schon kommen und kicherten schadenfroh.
    Dann hörte ich, wie mein Vater die Treppe heraufkam. Ich erkannte seinen Schritt in den schweren Polizeistiefeln. In Uniform stand er in der Tür, und jetzt stand der
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