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Torso

Torso

Titel: Torso
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ein.
    Zollanger schwieg einen Moment lang. »Was ich Ihnen jetzt sagen werde, fällt mir sehr schwer, Elin. Aber es ist nicht zu ändern.«
    Er zögerte erneut. Dann fuhr er fort: »Anton hat mich vor seinem Tod noch gebeten, seinem Informanten zu helfen, falls er Probleme bekommen sollte. Dann kam ein Paket, das Anton vor seinem Tod wohl noch an mich adressiert hatte. Er schickte mir Kopien von Unterlagen zu der ganzen Angelegenheit. Warum, weiß ich bis heute nicht. Was sollte ich damit? Anton hatte nichts unternommen. Was erwartete er von mir? Ich verstand auch viel zu wenig von der Materie. Aber natürlich las ich die Dokumente und begann, mich mit Zieten und der VKG zu beschäftigen. Was Ihr Bruder da gefunden hatte, ergab überhaupt keinen Sinn. Warum schaufelte die Stadt derart gigantische Summen in all diese Pleiteprojekte? Warum schritt niemand dagegen ein? Es war völlig rätselhaft und bestätigte nur, was Anton vermutet hatte. Einige einflussreiche, hochgestellte Leute hatten offenbar einen Weg gefunden, riesige Summen zusammenzurauben, die erst in Jahrzehnten vermisst werden würden.«
    »Und Sie haben das einfach geschehen lassen?«
    »Ja. Sicher. Was hätte ich denn tun sollen?«
    »Genau das, was Sie jetzt getan haben. Es der Presse zustecken.«
    Zollanger schüttelte den Kopf. »Sie vergessen Ihren Bruder, Elin. Warum hat
er
sich denn nicht an die Presse gewandt?«
    »Dazu haben Sie mir Ihre Meinung ja bereits gesagt.«
    »Ja. Ihr Bruder wollte Geld für diese Information, Geld, das er vermutlich dringend gebraucht hätte, um sich vor Zieten und den anderen in Sicherheit zu bringen.«
    Elin blinzelte. Was sagte der Mann da? »Sie wollten ihm das Geschäft nicht verderben?« rief sie entrüstet. »Ist es das, was Sie damit sagen wollen?«
    Zollanger erhob sich nun, ging zu dem Gasheizer und stellte die Flamme etwas größer ein. Das Rauschen nahm leicht zu.
    »Ja. Sicher. Diese gestohlenen Dateien waren eine ganz gute Lebensversicherung. Wer sich mit diesen Leuten anlegt, den kann kein Mensch mehr schützen. Höchstens Geld. Ihr Bruder hat im September versucht, mich zu kontaktieren. Er hat mir eine E-Mail geschickt. Vier Tage vor seinem Tod. Er wollte mit mir sprechen. Ich habe ein paar Tage gewartet und dann versucht, Verbindung mit ihm aufzunehmen. Aber er hat nicht mehr geantwortet. Damals wusste ich natürlich nicht, dass er bereits tot war. Ich kam nicht auf die Idee, dass der unbekannte Selbstmörder, von dem die Zeitungen Ende September berichteten, der Absender dieser E-Mail gewesen sein könnte. Der Verdacht kam mir erst, als der Anwalt Ihres Vaters neue Ermittlungen beantragt hat und ich die Akte begutachten sollte. Erst da mutmaßte ich, dass der Tote möglicherweise Antons Informant gewesen war. Aber ich habe vorgegriffen, Elin. Denn ich war zu diesem Zeitpunkt mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Mein Bruder lebte inzwischen bei mir.«
    »In Berlin?«
    »Ja. Ich hatte im Januar einen Zusammenbruch. Ich hatte während einer Verhaftung die Kontrolle verloren und bekam Zwangsurlaub. Da fuhr ich hierher, zu meinem Bruder, fragen Sie mich nicht, warum. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich nicht mehr lange leben würde. Und mir wurde klar, dass ich die Sache mit Georg niemals verdaut hatte. Ich wollte ihn sehen. Ich wollte, dass er mir verzeiht. Was weiß ich, was ich wollte. Wir verbrachten zehn Tage zusammen, und es war nicht zu übersehen, dass es ihm ziemlich schlecht ging. Ich beschwor ihn, sich in Deutschland in einer vernünftigen Klinik untersuchen und behandeln zu lassen, und bot ihm an, das unter meinem Namen zu tun, meine Krankenversicherung dafür zu benutzen. Ich weiß noch, wie er spottete, dass ihm unsere äußerliche Ähnlichkeit ja dann endlich einmal etwas nützen würde.«
    Zollanger nahm einen Schluck Wasser, atmete tief durch und fuhr fort.
    »Er kam im April nach Berlin. Das Untersuchungsergebnis war niederschmetternd. Blutkrebs. Die Prognose lautete ein bis zwei Jahre, mehr oder weniger, je nach Therapie. Aber Georg begann erst gar keine Behandlung. Es ging ihm zeitweise auch wieder besser. Es blieb nicht aus, dass wir über meine Arbeit sprachen. Irgendwann stellte ich fest, dass er die ganzen Akten studierte, die ich gesammelt hatte. Sie standen ja in seinem Zimmer. Was er nicht verstand, erklärte ich ihm. Und wir bekamen wieder einmal Streit.«
    »Er wollte, dass Sie etwas unternehmen.«
    »Ja. Ich sagte es ja bereits. Er war schlechterdings nicht in der Lage,
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