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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung
Autoren: Julie Kagawa
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sein.
    »Wo willst du hin?«, fragte Stick, als ich die Tür aufschloss und wieder Richtung Ausgang stiefelte, immer auf der Hut vor Rat. »Allie? Warte mal, wo gehst du denn hin? Nimm mich mit, ich kann helfen!«
    »Nein, Stick.« Ruckartig drehte ich mich zu ihm um und schüttelte den Kopf. »Diesmal gehe ich nicht zu den üblichen Stellen. Es sind zu viele Wachen unterwegs, außerdem ist der Lakai noch da draußen und macht alle nervös.« Seufzend schirmte ich die Augen vor der Sonne ab und ließ den Blick über den leeren Platz schweifen. »Ich muss es in den Ruinen versuchen.«
    Er stieß ein erschrockenes Quieken aus. »Du verlässt die Stadt?«
    »Vor Sonnenuntergang bin ich zurück, keine Sorge.«
    »Wenn sie dich erwischen …«
    »Werden sie nicht.« Grinsend beugte ich mich zu ihm. »Haben sie mich denn jemals gekriegt? Die wissen ja nicht einmal, dass diese Tunnel existieren.«
    »Jetzt klingst du schon wie Patrick und Geoffrey.«
    Das saß. Ich blinzelte irritiert. »Findest du das nicht etwas gemein?« Als er nur mit den Schultern zuckte, verschränkte ich grimmig die Arme vor der Brust. »Wenn du so denkst, werde ich mir noch einmal genau überlegen, ob ich meine Beute mit dir teile. Vielleicht solltest du dir zur Abwechslung dein Essen einmal selbst besorgen.«
    »Tut mir leid«, sagte er hastig und schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. »Ehrlich, Allie. Ich mache mir doch nur Sorgen um dich. Und ich habe Angst, dass du mich allein hier zurücklässt. Versprichst du mir, dass du zurückkommen wirst?«
    »Das weißt du doch.«
    »Alles klar.« Er zog sich in die Eingangshalle zurück, sodass die Schatten sein Gesicht verbargen. »Viel Glück.«
    Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber es klang fast so, als hoffte er, dass ich in Schwierigkeiten geraten würde. Als sollte ich ruhig sehen, wie gefährlich es dort draußen war, damit klar wurde, dass er von Anfang an recht gehabt hatte. Aber das war doch blöd, sagte ich mir, während ich über den Platz rannte, zurück zum Zaun und zur Straße. Stick brauchte mich, ich war sein einziger Freund. Und er war nicht so nachtragend, dass er mir etwas Schlechtes wünschte, nur weil er sich wegen Marc und Gracie geärgert hatte.
    Oder?
    Ich verdrängte den Gedanken, schob mich durch den Zaun und huschte in die stille Stadt hinaus. Über Stick konnte ich mir immer noch den Kopf zerbrechen, jetzt ging es erstmal darum, genug Nahrung zu finden, um uns beide am Leben zu erhalten.
    Die Sonne stand direkt über den skelettähnlichen Gebäuden und tauchte die Straßen in helles Licht. Bleib einfach noch ein wenig da hängen , wies ich sie an, als ich in den Himmel hinaufblickte. Rühr dich für ein paar Stunden nicht vom Fleck. Und wenn du magst, kannst du auch ganz aufhören, dich zu bewegen.
    Gemeinerweise schien sie genau in diesem Moment ein wenig tiefer zu sinken und sie verspottete mich, indem sie hinter einer Wolke verschwand. Die Schatten wurden länger, glitten über den Boden und schienen wie dürre Finger nach mir zu greifen. Zitternd wandte ich mich ab und hastete durch die Straßen.

2
    Die Leute sagen immer, es sei unmöglich, New Covington zu verlassen, die Äußere Mauer sei unüberwindbar und niemand käme rein oder raus, selbst wenn er es wollte.
    Die Leute irren sich.
    Der Saum ist ein echter Betondschungel: Schluchten voller Glasscherben und rostigem Metallschrott, Häusergerippe, die von Schlingpflanzen überwuchert werden, Moder und Rost. Abgesehen vom innersten Stadtkern, wo die mächtigen Vampirtürme ihren finsteren Glanz verströmen, wirken die Gebäude kränklich, sie sind ausgeschlachtet und stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Unter dieser zerklüfteten Skyline breitet sich mehr und mehr die Wildnis aus, da es nur wenige Menschen gibt, die sie im Zaum halten könnten. Überall auf den Straßen stehen die verrosteten Karosserien ehemaliger Autos, deren brüchige Rahmen von Pflanzen verschlungen werden. Bäume, Wurzeln und Ranken bohren sich durch die Bürgersteige und sogar durch die Dächer, brechen das Pflaster auf und verbiegen den Stahl, während sich die Natur langsam aber sicher die Stadt wieder einverleibt. In den letzten Jahren haben sich einige der verbliebenen Wolkenkratzer endlich Zeit und Verfall ergeben und sind mit brüllendem Lärm in einem Staub-, Beton- und Scherbenregen eingestürzt, wobei jeder getötet wurde, der das Pech hatte, sich gerade in der Nähe aufzuhalten. Inzwischen gehört auch das zum Alltag.
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