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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung
Autoren: Julie Kagawa
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Schlafstätte hochgestemmt hatte, kamen darunter einige lose Bodendielen zum Vorschein, die ich sorgfältig beiseitelegte, um in das dunkle Loch darunter spähen zu können.
    »Verdammt«, murmelte ich, während ich in dem kleinen Versteck herumtastete. Nicht mehr viel übrig: ein trockener Klumpen Brot, zwei Erdnüsse und eine Kartoffel, die bereits auszutreiben begann. Das hier war vermutlich das Ziel von Rats Suche, mein privater Vorrat. Jeder hatte etwas in der Art und versteckte es vor dem Rest der Welt. Unregistrierte bestahlen einander nicht, oder zumindest sollten sie das nicht. Das war eines unserer ungeschriebenen Gesetze. Doch tief in unserem Inneren waren wir eben alle Diebe, und der Hunger trieb die Leute manchmal zu Verzweiflungstaten. Ich hatte nicht so lange überlebt, weil ich ein Naivling war. Der einzige andere Mensch, der von diesem Versteck wusste, war Stick, und ihm vertraute ich. Er würde nicht alles, was er noch hatte, riskieren, nur um mich zu beklauen.
    Mit einem tiefen Seufzer musterte ich die kümmerlichen Reste. »Nicht gut«, murmelte ich kopfschüttelnd. »Und in letzter Zeit drehen die da draußen echt durch. Niemand handelt mehr mit Essensmarken, egal zu welchem Preis.«
    Während ich die Dielen wieder an ihren Platz legte und das Brot mit Stick teilte, spürte ich das altbekannte Loch in meinem Magen. In irgendeiner Form meldete sich der Hunger ständig, aber das hier wurde langsam ernst. Seit letzter Nacht hatte ich nichts mehr gegessen. Mein Raubzug heute Morgen war nicht besonders gut gelaufen. Stundenlang hatte ich meine üblichen Punkte abgeklappert, aber am Ende nichts als eine aufgerissene Handfläche und einen immer noch leeren Magen vorweisen können. Die Rattenfallen des alten Thompson hatten nichts eingebracht; entweder wurden die Viecher langsam schlauer, oder er hatte es tatsächlich geschafft, die Nagetierpopulation drastisch zu verkleinern. Anschließend war ich über die Feuerleiter zum Dachgarten von Witwe Tanner hinaufgestiegen und hatte mich vorsichtig unter dem Stacheldrahtzaun hindurchgeschoben, nur um dann festzustellen, dass die durchtriebene Alte ihre Ernte verfrüht eingebracht und nur einige leere Kästen mit Erde zurückgelassen hatte. Ich hatte den Müllcontainer in der Gasse hinter Hurleys Tauschladen durchforstet, denn manchmal , wenn auch sehr selten, fand sich dort ein Brotlaib, der selbst den Ratten zu schimmelig war, oder ein Sack verdorbener Sojabohnen oder eine faule Kartoffel. Da war ich wirklich nicht wählerisch, mein Magen war darauf gedrillt, so ziemlich alles bei sich zu behalten, ganz egal wie ekelhaft es war. Insekten, Ratten, von Maden durchsetztes Brot – das war mir ganz egal, solange es noch eine entfernte Ähnlichkeit mit Nahrung hatte. Ich vertrug auch das, was die meisten Menschen nicht runterbekamen, doch heute schien das launische Schicksal mich noch mehr zu hassen als sonst.
    Und nach der Hinrichtung war es unmöglich, die Jagd fortzusetzen. Die Gegenwart des Lakaien machte die Leute im Saum nervös. Auch ich wollte keinen Diebstahl riskieren, wenn so viele Wachen unterwegs waren. Außerdem schrie das geradezu nach Ärger, wenn man Lebensmittel klaute, direkt nachdem drei Menschen deswegen gehängt worden waren.
    Das vertraute Gebiet abzugrasen brachte mich nicht weiter. Hier hatte ich alle Ressourcen ausgeschöpft, obendrein kannten die Registrierten inzwischen meine Tricks. Und selbst wenn ich in andere Sektoren vordrang – der Saum war schon seit langer Zeit fast völlig leergefegt. In einer Stadt voller Plünderer und Trittbrettfahrer gab es irgendwann nichts mehr zu holen. Wenn wir etwas zu essen haben wollten, blieb mir nichts anderes übrig, als mich weiter vorzuwagen.
    Ich würde die Stadt verlassen müssen.
    Nach einem prüfenden Blick auf das grelle Licht, das durch meine mit Plastik verklebten Fenster drang, verzog ich das Gesicht. Der Vormittag war bereits vorbei, und der Nachmittag war kurz. Sobald ich auf der anderen Seite der Mauer war, blieben mir nur wenige Stunden für die Jagd nach etwas Essbarem. Denn falls ich es nicht schaffte, vor Sonnenuntergang zurückzukommen, würden andere Kreaturen auf die Jagd gehen. Sobald das Licht vom Himmel schwand, brach ihre Zeit an. Die Zeit der Meister. Der Vampire.
    Der Tag ist noch lang , beruhigte ich mich, während ich im Kopf die verbleibenden Stunden überschlug. Das Wetter ist gut. Ich könnte unter der Mauer durch, die Ruinen absuchen und vor Sonnenuntergang zurück
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