Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung
Autoren: Julie Kagawa
Vom Netzwerk:
dennoch versuchte, wurde entweder abgeknallt oder in der Todeszone in Tausend Stücke gesprengt.
    Weshalb ich auch untenrum gehen würde.
    Ich kämpfte mich durch den mit hüfthohem Unkraut überwucherten Graben, stützte mich mit einer Hand an der Betonwand ab und wich den Pfützen und Scherbenhaufen aus. Mein letzter Besuch hier lag schon eine Weile zurück, und seitdem hatten die Pflanzen alle Spuren überwuchert. Vorsichtig umrundete ich einen Steinhügel, ignorierte die verdächtig aussehenden Knochen, die um ihn herum verstreut waren, und zählte zwölf Schritte ab, bevor ich stehen blieb und mich ins Gras kniete.
    Mit einer Hand bahnte ich mir einen Weg durch das Unkraut, achtete aber darauf, möglichst nichts zu verändern. Schließlich sollte niemand wissen, dass dieser Ort existierte. Falls sich das herumsprach und den Vampiren Gerüchte darüber zu Ohren kamen, dass es möglicherweise einen Weg aus ihrer Stadt gab, würden sie jeden Quadratzentimeter des Saums durchkämmen, bis sie ihn gefunden hatten. Und anschließend würden sie ihn fester abriegeln als ihre Lakaien die Lagerhäuser mit den Nahrungsvorräten. Dabei kam es ihnen weniger darauf an, ob irgendjemand rauskam; jenseits der Äußeren Mauer gab es nichts außer Ruinen, Wildnis und Verseuchte. Aber ein Ausgang war immer auch ein Eingang, und alle paar Jahre verirrte sich auf dem Weg durch die unterirdischen Tunnel ein Verseuchter in die Stadt. Dann gab es Chaos und Panik und Tod, bis der Verseuchte vernichtet war und sie den Eingang gefunden und blockiert hatten. Aber diesen einen hier übersahen sie immer.
    Unter dem Unkraut tauchte eine schwarze Metallscheibe auf, die im Boden versenkt war. Sie war unglaublich schwer, aber ich hatte ganz in der Nähe eine Eisenstange versteckt, mit der ich sie aufhebeln konnte. Ich wuchtete den Deckel ins Gras und spähte in das tiefe, enge Loch. Rostige Metallgriffe an den Seiten der Betonröhre führten hinunter in die Dunkelheit.
    Wachsam versicherte ich mich, dass ich nicht beobachtet wurde, dann kletterte ich die Leiter hinab. Es beunruhigte mich jedes Mal, den Tunneleingang sperrangelweit offen zu lassen, aber der Deckel war so schwer, dass ich ihn von innen nicht wieder über das Loch ziehen konnte. Doch das hohe Gras verbarg die Scheibe ganz gut, und in all den Jahren, in denen ich mich nun schon aus der Stadt schlich, war sie noch nie entdeckt worden.
    Trotzdem hatte ich keine Zeit zu verlieren.
    Als ich den Boden erreicht hatte, sah ich mich prüfend um und wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Meine Hand wanderte in die Manteltasche und schloss sich um meine beiden wichtigsten Besitztümer: ein Feuerzeug, das noch zur Hälfte mit Gas gefüllt war, und mein Taschenmesser. Das Feuerzeug hatte ich bei meinem letzten Ausflug in die Ruinen gefunden, das Messer besaß ich hingegen schon seit Jahren. Beides war extrem wertvoll und ich ging nie irgendwo hin, ohne die Sachen mitzunehmen.
    Wie immer herrschte in den Tunneln unter der Stadt ein bestialischer Gestank. Die Alten, die in der Zeit vor der Epidemie noch Kinder gewesen waren, behaupteten, dass man früher den ganzen Dreck der Stadt durch Rohre unter den Straßen entsorgt hatte, statt ihn in Eimern zu sammeln und dann in abgedeckte Löcher im Boden zu entleeren. Falls das stimmte, erklärte es zumindest diesen Geruch. Ungefähr einen halben Meter neben mir endete der Sims, auf dem ich stand, und dahinter floss schleimiges, schwarzes Wasser durch den Tunnel. In den Schatten tauchte eine riesige Ratte auf, sie war fast so groß wie die Straßenkatzen, die man an der Oberfläche finden konnte, und rief mir in Erinnerung, warum ich hier war.
    Nach einem prüfenden Blick durch das Loch – der Himmel war noch immer sonnig und hell – verschwand ich in der Dunkelheit.
    Früher dachten die Leute, die Verseuchten würden unter der Erde lauern, in Höhlen oder verlassenen Tunneln, wo sie tagsüber schliefen und nur nachts zum Vorschein kamen. Eigentlich glaubten die meisten das auch heute noch, aber ich hatte hier unten noch nie einen gesehen. Nicht einmal einen schlafenden. Doch das hatte nicht viel zu sagen. Auch einen Maulwurfsmenschen hatte noch nie jemand von denen da oben gesehen, und trotzdem kannte jeder die Gerüchte um die kranken, lichtscheuen Menschen, die unter der Stadt lebten und einen aus den Abflüssen hervor am Knöchel packten und in die Tiefe zerrten, um einen dann aufzufressen. Ich war bisher noch keinem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher