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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung
Autoren: Julie Kagawa
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ruhig verhielt, würde ich es hoffentlich hier raus schaffen, ohne totgetrampelt zu werden.
    Mit einem lauten Schnauben schüttelte das Reh den Kopf, verlor durch die ruckartige Bewegung das Gleichgewicht und torkelte gegen den Türrahmen. Auch das war ein Symptom der Krankheit: Infizierte Tiere wirkten im einen Moment verwirrt und unkoordiniert, konnten aber in der nächsten Sekunde schon in extrem aggressive Wut geraten. Ich umklammerte mein Messer und schob mich seitlich an der Wand entlang in Richtung des kaputten Fensters.
    Das Reh hob den Kopf, verdrehte die Augen und stieß ein raues Knurren aus, das sich von allem unterschied, was ich je von einem Reh gehört hatte. Als ich sah, wie sich die kräftigen Schultermuskeln anspannten, hechtete ich zum Fenster.
    Schnaufend stürmte das Reh ins Zimmer, erhob sich auf die Hinterbeine und ließ mit tödlicher Wucht die Hufe kreisen. Einer der Hufe erwischte mich am Oberschenkel, als ich vorbeiraste. Obwohl er mich nur streifte, fühlte es sich an, als hätte jemand mit einem Hammer auf mich eingeprügelt. Das Reh donnerte gegen die gegenüberliegende Wand und riss dabei eines der Regalbretter aus der Verankerung, während ich mich aus dem Fenster stürzte.
    Mühsam kämpfte ich mich durch das hohe Gras und rannte zu einem halb kollabierten Schuppen, der hinten im Garten stand. Das Dach war eingesunken und die modrigen Mauern waren komplett überwuchert, aber die Türen funktionierten noch. Ich quetschte mich hindurch, hockte mich keuchend in eine Ecke und lauschte auf Geräusche von draußen.
    Einen Moment lang war alles still. Als sich mein Puls wieder normalisiert hatte, spähte ich durch einen Spalt zwischen den Türbrettern und erkannte die dunklen Umrisse des Rehs im Haus. Es taumelte orientierungslos herum und griff in blinder Wut abwechselnd die Matratze und den kaputten Kleiderschrank an. Alles klar. Jetzt musste ich nur ganz still hier sitzen bleiben, bis sich das Psycho-Reh wieder beruhigte hatte und von dannen zog. Was hoffentlich noch vor Sonnenuntergang passierte. Bald würde ich mich auf den Rückweg zur Stadt machen müssen.
    Ich löste mich von der Wand und sah mich in dem Schuppen um, ob sich nicht doch irgendetwas Brauchbares finden ließe. Viel schien es hier nicht zu geben: ein paar verrottete Regalbretter, eine Handvoll rostiger Nägel, die ich sofort einsteckte, und ein seltsames, plumpes Gerät mit vier Rädern und einem langen Griff, das offenbar dazu gedacht war, durch die Gegend geschoben zu werden. Doch ich hatte keine Ahnung, zu welchem Zweck.
    Plötzlich fiel mir auf, dass in den Bodendielen unter der Maschine ein Loch klaffte, also schob ich das Ding beiseite und legte so eine Falltür frei. Sie war mit einem großen Vorhängeschloss gesichert, das allerdings inzwischen so verrostet war, dass selbst der beste Schlüssel nicht mehr geholfen hätte. Doch die Bodenbretter waren modrig und bröckelten bereits. Mit Leichtigkeit gelang es mir, einige der Dielen herauszureißen und so ein Loch zu schaffen, durch das ich die Klappleiter erreichen konnte, die nach unten führte.
    Mit dem Messer in der Hand kletterte ich in die Öffnung.
    Es war ein ziemlich dunkler Keller, aber die Sonne würde noch mindestens eine Stunde lang am Himmel stehen und durch das Loch und die Ritzen in der Decke genügend Licht nach unten schicken. Ich stand mitten in einem kleinen, kühlen Raum mit unverputzten Wänden und Betonboden. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne herab, an der eine Schnur baumelte. Die Wände waren mit Holzregalen bedeckt, und aus einem dieser Regale funkelten mir im matten Licht Dutzende von Konservendosen entgegen. Mein Herz setzte kurz aus.
    Jackpot!
    Mit einem Hechtsprung schnappte ich mir die nächstbeste Dose und warf in meiner Aufregung drei andere aus dem Regal, die klappernd zu Boden fielen. Die Konserve war mit einer verblassten Banderole versehen, aber ich machte mir nicht die Mühe, die Aufschrift zu entziffern. Stattdessen rammte ich mein Messer in den Deckel, stach wieder und wieder zu, bis ich mit zitternden Händen ein Loch hineingesäbelt hatte.
    Ein süßer, köstlicher Duft stieg auf und mein leerer Magen reagierte mit einem gequälten Brüllen. Mir wurde schwindelig. Essen! Richtiges Essen! Hastig bog ich den Deckel zurück, achtete kaum darauf, was genau darin war – irgendein matschiges Obst in schleimiger Flüssigkeit –, setzte die komplette Dose an die Lippen und schlang alles in einem Rutsch hinunter. Die Süße
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