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Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Titel: Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
Autoren: A. G. Stoll
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Bestätigung hielt sie ihm Kates Kleiderbündel vors Gesicht. Der Mann erwiderte nichts. Er riss ihr die Sachen fort, drehte sich um und hinkte zu einer vor der Tür wartenden Dampfkutsche. Im hohen Bogen schleuderte er das Bündel durch die geöffnete Wagentür in die Passagierkabine hinein, als wollte er es keinen Augenblick länger in der Hand halten. Dann kletterte er die zwei Stufen empor und ließ sich auf eine der beiden Sitzbänke fallen.
    Kate klammerte sich an Tantes Rockschürzen fest. Mit einem Mal fand sie es nicht mehr verlockend, ein eigenes Bett zu bekommen. Selbst die Aussicht, in einem Wagen zu fahren, machte den Abschied nicht schmackhafter.
    Verängstigt suchte sie Tante Eulas Blick. Die löste sich von ihr und zog sie am Handgelenk hinter sich her. Bis zum Gefährt, ohne sie anzusehen.
    Tante Eula hob sie hoch, stellte sie hinein und befahl: »Sei immer folgsam, Kind.«
    Zu dem Mann sagte sie: »Ich habe sie Kate genannt. Sie brauchte einen Namen, nicht wahr?«
    Damit drehte sie sich um und ging.
    Kate rief ihr hinterher, doch die Tante reagierte nicht.
    Der Fremde herrschte Kate an, sie solle sich auf die Bank hocken und keinen Laut von sich geben. Eingeschüchtert gehorchte sie und versuchte, tapfer zu sein. Unglücklich spähte sie zur Kutsche hinaus, sah aber nichts als die geschlossene Haustür. Stellenweise war die grüne Farbe abgeblättert. Sie erinnerte sich gut daran, wie es sich anfühlte, über das nackte Holz zu streichen.
    Warum nur waren die anderen Kinder nicht da und winkten ihr nach? So machten sie es immer, wenn jemand von ihnen abgeholt wurde. In Kates Bauch bildete sich ein Klumpen, der bis in den Hals hochdrückte.
    Der Mann schlug die Tür zu.
    Einen Augenblick später hieb er mit dem Stock gegen die Vorderwand, es zischte, und sie fuhren los. Kate bohrte die Fingernägel in die Handflächen, bis es wehtat. Eine Träne rann ihr die Wangen hinab und tropfte auf den Boden.
    Der unheimliche Fremde kümmerte sich nicht um sie. Er starrte aus dem Fenster. Seine Hand umklammerte weiter den Gehstock, und die langen Finger sahen aus wie Klauen, mit denen er sie jeden Moment packen konnte. Kate wagte nicht, ihm ins Gesicht zu schauen, ihn überhaupt anzusehen, stattdessen konzentrierte sie sich auf die Wagenkabine. Die Bänke waren mit rotem Stoff bezogen und die Wände leuchteten gelb. An der Wagentür prangte das Bild eines sonderbaren Tieres.
    Es sah aus wie eine Katze, nur trug es um den Kopf herum einen goldenen Kranz.
    Nie zuvor hatte Kate etwas derartig Interessantes gesehen, doch tröstete sie das wenig. Sie wünschte sich in das Haus zurück, in dem sie bisher gelebt hatte, zurück zur Tante und den Kindern.
    Als die Kutsche endlich anhielt, fühlte sie sich zu schwindelig, um allein hinausklettern zu können. Der Mann griff sie am Arm und zerrte sie hinter sich her. Bei jedem seiner Schritte knallte er den Gehstock auf den Boden und der Krach dröhnte Kate in den Ohren. Erst wurde sie durch eine offene Tür geschubst, dann einen Flur entlang, bis zu einem riesigen Raum, in dem eine fremde Dame auf sie wartete. Die Unbekannte saß auf einem Stuhl und hielt etwas in der Hand, mit dem sie sich Luft zufächelte. Sie musste eine Königin sein, so prächtig, wie sie gekleidet war, und sie trug Perlen im Haar. Weiße Perlen, die im Licht der Kerzen und Gasleuchten schimmerten.
    Kate klappte vor Staunen der Mund auf. Sie war so unvorstellbar schön!
    »Halt mir das Geschöpf vom Leib, Gustav«, sagte die Frau und fuhr fort: »Ist es etwa schwachsinnig, so wie es mich anstiert? Und krabbelt da Ungeziefer auf ihr herum? Ach egal, rasiere ihr den Kopf und lass die Kleidung auskochen.«
    Der Mann hielt Kate weiter am Arm fest. Das schmerzte und sie wimmerte. Er ließ sie los und sie machte einen Schritt zur Frau hin.
    »Wer kümmert sich um sie, Madame?«, fragte er. »Sie ist noch so klein. Vielleicht hättest du einige Jahre länger warten sollen.«
    Madame erhob sich, faltete das Ding in ihren Fingern zu einer Art Stock und schlug diesem Gustav damit auf die Brust. Nur leicht, dennoch zuckte er zusammen, als hätte sie ihn verletzt.
    »Unsinn und viel zu gefährlich«, zischte sie und verzog den Mund zu einem Lächeln. »Wer sie versorgen wird? Du, natürlich. Erzieh sie mir und achte darauf, dass sie keinen Ärger macht. Wie du das zustande bringst, ist mir gleich.«
    Der Mann stotterte, er kenne sich nicht mit Kindern aus, doch sie fuhr ihm dazwischen: »Das ist keine Bitte,
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