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Tolle Maenner

Tolle Maenner

Titel: Tolle Maenner
Autoren: Olivia Goldsmith
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Tracie.

    Die Bandmitglieder wandten sich alle gleichzeitig zu ihr um, als wäre sie verrückt geworden. »Wovon redest du?«, fragte Frank.
    »Du hast doch gesagt, er würde sich im Grab umdrehen. Ich wollte nur …«
    Phil legte den Arm um sie. »Die Hellste ist sie vielleicht nicht gerade, aber dafür sieht sie umso besser aus«, erklärte er den anderen quasi entschuldigend, bevor er Tracie einen langen, nassen Kuss aufdrückte.

3.   Kapitel
    Jonathan Charles Delano radelte durch den Morgennebel am Puget Sound. Die Straße schlängelte sich am nebligen Ufer entlang. Er trug seine Micro/Connection-Jacke, die nur Mitarbeiter der ersten Stunde mit mehr als zwanzigtausend Anteilen bekommen hatten, sowie eine Baseballmütze. Der Wind erfasste ihn von der Seite, als er eine Kurve nahm, und als er dann voll gegen den Wind fuhr, plusterte sich seine Jacke auf wie ein Fesselballon. Radfahren war eine gute Therapie. Hatte er erst einmal seinen Rhythmus gefunden, konnte er nachdenken – oder auch nicht, ganz wie er wollte. An diesem Morgen wollte er um keinen Preis an den vergangenen Abend denken – einen Abend, den er damit zugebracht hatte, im Regen zu stehen und versetzt zu werden – oder an den anstrengenden Tag, der vor ihm lag. Obwohl er nicht scharf darauf war, sein Ziel zu erreichen, strampelte er sich die Lunge aus dem Leib, als führe er bei der Tour de France mit. Muttertag war für ihn immer harte Arbeit. Seit Jahren schon folgte er nun dieser Tradition, die er aus unnötigen Schuldgefühlen und Mitleid selbst ins Leben gerufen hatte. Als Sohn von Chuck Delano war er etwas schuldig, meinte er, und außerdem gelang es ihm als Einzelkind bei diesen Besuchen am ehesten, sich als Mitglied einer Großfamilie zu fühlen. So jedenfalls rechtfertigte er seine Besuche vor sich selbst.
    Als er die nächste Kurve der Küstenstraße nahm, löste sich der Nebel schlagartig auf, und ein atemberaubender Blick über die Meerenge eröffnete sich ihm. Seattle erschien ihm ebenso grün und zauberhaft wie die smaragdene Stadt des Zauberers von Oz, und heute spitzte sogar der Mount Rainier hervor, den man bei guter Sicht hoch über der Stadt thronen sah.

    Als einer der ungefähr vier alteingesessenen Bewohner Seattles – ihm kam es immer vor, als wären alle anderen »aus dem Osten« zugewandert – hatte er diesen Anblick schon tausendmal bewundert, ohne seiner jemals müde zu werden. Heute aber gönnte er sich nur einen Augenblick, um ihn zu genießen, bevor er weiter über Bainbridge Island strampelte, bis er zu einem schindelverkleideten Haus kam. Jon sprang vom Rad, holte einen Blumenstrauß aus dem Einkaufskorb und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er schaute auf die Uhr, zuckte zusammen und lief den Weg zur Haustür hoch. Auf dem Namensschild stand MRS. B. DELANO.
    Er klopfte an die Tür. Eine schwergewichtige blonde Frau mittleren Alters in einem Trainingsanzug öffnete ihm. Jon fiel auf, dass Barbara seit dem Vorjahr noch mehr zugenommen hatte. Über dem Trainingsanzug trug sie eine Schürze. Das brachte Jon unwillkürlich zum Lächeln. Es war so... typisch Barbara.
    »Jon! O Jon, dich habe ich jetzt nicht erwartet«, log sie nach Kräften, als sie ihn umarmte. Barbara war die erste Frau seines Vaters und nur wenig älter als Jons leibliche Mutter, aber irgendwie schien sie aus einer anderen Generation zu stammen.
    Jon gab sich große Mühe, all das zu sein, was man von ihm erwartete: im Einklang mit seinen Gefühlen, ein guter Sohn, ein verständnisvoller Chef, ein loyaler Angestellter, ein guter Freund... die Liste war ebenso endlos wie ermüdend. Ein pflichtbewusster Stiefsohn zu sein machte ihn zudem auch noch depressiv.
    Etwas an der ersten Mrs. Delano stimmte ihn wirklich traurig. Es war ihre gnadenlose Fröhlichkeit. Obwohl sie glücklich und zufrieden wirkte in ihrem Häuschen in Winslow, stellte Jon sich immer vor, dass eine schreckliche Sehnsucht sie überkam, sobald er das Haus verlassen hatte. Nicht nach ihm – Jon wusste, dass niemand sich je nach ihm sehnte -, sondern nach Chuck, Jons Vater, dem Mann, den sie geliebt und verloren hatte.
    Auch wenn Jon keinen Grund hatte, sich dafür verantwortlich
zu fühlen, tat er es doch, und da er fürchtete, dass sich daran wohl nie etwas ändern würde, hatte er sich auf diesen Tag vorbereitet. Er holte die Blumen hinter seinem Rücken hervor. »Du hast mich nicht erwartet?«, fragte er so fröhlich wie sie. »Alles Gute zum Muttertag, Barbara.« Schwungvoll
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