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Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love
Autoren: Hitomi Kanehara
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ständiges Zusammenhocken kannte sie meinen Geschmack nur zu gut.
    »Na ja, ich hab ‘nen Punk kennengelernt. Der hat mich auf die Idee gebracht.«
    »Das sieht aber komisch aus, ein Barbiegirl wie du mit einem Zungenpiercing. Erst durchlöcherst du dir die Ohren und nun auch noch die Zunge. Hast du etwa vor, ein Punk zu werden?«
    »Ich bin kein Barbiegirl, Maki!« rief ich empört, doch sie hörte gar nicht mehr zu, sondern ließ sich lang und breit über Punks aus. Zugegeben, bei einem blondgelockten Püppchen in einem Spaghettiträger-Kleidchen würde eine durchbohrte Zunge tatsächlich grotesk wirken. Aber auf das Piercing selbst legte ich ohnehin keinen Wert. Was mir vorschwebte, war eine gespaltene Zunge.
    »Maki, was hältst du denn von Tattoos?«
    »Tattoos? Ach, die sind doch hübsch: kleine niedliche Schmetterlinge oder Rosen oder so was. Das finde ich süß!« erwiderte sie strahlend.
    »Nee, so ‘n Zeug meine ich nicht. Drachen, Stammesabzeichen, Ukiyoe-Holzschnittmotive, eher so was in der Art.«
    »Was?!« schrie Maki auf und zog eine angewiderte Grimasse. »Was ist bloß in dich gefahren?« zeterte sie. »Hat dir das auch dein neuer Punk-Freund eingeredet? Seid ihr jetzt ein Herz und eine Seele? Der scheint dir ja eine richtige Gehirnwäsche verabreicht zu haben.«
    Tja, da lag sie vermutlich gar nicht so falsch. Als ich Amas Schlangenzunge das erste Mal erblickte, war mein bisheriges Wertesystem krachend in sich zusammengebrochen. Das war mir vollauf bewußt. Ich war mir zwar nicht ganz im klaren darüber, was genau sich wie verändert hatte, aber eins stand fest: Die Schlangenzunge hatte mich verhext. Auch wenn diese Faszination nicht unbedingt den Grund dafür lieferte, daß ich nun selbst solcheine körperliche Veränderung wollte. Wieso brachte diese Vorstellung mein Blut so in Wallung? Ich wußte nur soviel, daß ich einen langen Weg vor mir hatte, um das herauszufinden.
    »Sag Maki, willst du ihn nicht mal kennenlernen?«
    Zwei Stunden später trafen wir Ama am verabredeten Ort.
    Maki riß die Augen auf, als ihr Blick der Richtung folgte, in die ich winkte.
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein?!«
    »Doch, dieser rothaarige Affe.«
    »Du spinnst doch, oder? Hilfe, da krieg ich ja Angst.«
    Als Ama näher kam, bemerkte er offensichtlich, daß Maki sich unbehaglich fühlte, denn er warf ihr einen schüchternen Blick zu und sagte aufrichtig betroffen: »Tut mir leid, daß ich dich so erschrecke.«
    Zu meiner Erleichterung brach Maki angesichts seiner unerwarteten Entschuldigung in schallendes Gelächter aus. Anschließend zogen wir zu dritt durchs nächtliche Geschäftsviertel und landeten in einer Kneipe, die lediglich deshalb den Besuch lohnte, weil sie so billig war.
    »Ist dir aufgefallen, daß uns alle ausweichen, wenn wir neben Ama laufen?«
    »Stimmt! Wenn ich mit Ama unterwegs bin, werde ich wenigstens nicht blöd angequatscht. Ich krieg nicht mal Werbezettel in die Hand gedrückt.«
    »Na, dann bin ich ja doch recht nützlich.«
    Ama und Maki fanden sofort einen Draht zueinander. Als er sich mit seiner Zunge brüstete, machte sie eine totale Kehrtwendung und schwärmte ihm vor, wie toll sie das fände.
    »Na, ich wette, Lui will sich auch so was machen lassen.«
    »Stimmt! Dann haben wir nämlich eine Gemeinsamkeit. He Lui, wieso läßt du dir nicht auch die Augenbrauen und Lippen piercen, dann hätten wir alles gleich.«
    »Spinnst du?! Das einzige, was ich will, ist eine Schlangenzunge und ein Tattoo.«
    »Hör auf damit, sonst machst du noch eine Punklady aus ihr. Lui und ich haben nämlich eine Liga für Barbiegirls gegründet, einen Pakt fürs Leben sozusagen.«
    »Ich bilde keine Liga, und ein Barbiegirl bin ich auch nicht!«
    »Doch, du bist ein Barbiegirl«, riefen beide komischerweise wie aus einem Munde.
    Als wir völlig besoffen aus der Kneipe torkelten, waren die anderen Lokale schon geschlossen. Auf dem Weg zum Bahnhof machten wir reichlich Radau in der totenstillen Straße, wo es tagsüber von Model-Scouts nur so wimmelte. Zwei Typen kamen uns entgegen, die einen ziemlich gewalttätigen Eindruck machten. Sie wirkten wie Schläger aus einer Gang. Wie zu erwarten, hatten sie Ama auf dem Kieker. Er wurde immer von solchen Kerlen in die Mangel genommen – angepöbelt, angerempelt oder sonstwie in Streitereien verwickelt. Er selbst entschuldigte sich auch noch dafür und grinste bloß albern. Sein punkiges Outfit ließ eben nicht auf sein Inneres schließen.
    »Na, meine
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