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Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love
Autoren: Hitomi Kanehara
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mir getan hatte. Als ich seinen schlummernden Atem vernahm, ging ich hinüber ins Wohnzimmer, wo ich eine Flasche Bier trank und erneut den Liebesbeweis in Gestalt der beiden Zähne betrachtete. Etwas später stöberte ich in dem Regal neben dem Eingang, in dem allerhand Krempel verstaut lag, nach einem Hammer und nahm ihn mit ins Zimmer. Ich wickelte die beiden Zähne erst in eine Plastiktüte und dann in ein Handtuch und schlug darauf ein. Das laute Hämmern hallte in meiner Brust. Als ich sie zu Staub pulverisiert hatte, schüttete ich mir das Zeug in den Mund und spülte es mit Bier hinunter. Ich schmeckte nichts anderes als Bier. Amas Liebespfand verschmolz nun mit meinem Körper, wurde eins mit mir.
     
    Am nächsten Tag gingen wir gemeinsam zur Arbeit und machten den Laden auf. Shiba-san hatte Brot für mich besorgt. Mit zufriedener Miene sah er mir dabei zu, wie ich, wenn auch nur einen winzigen Bissen, davon verspeiste.
    »He, Kizuki, tust du mir einen Gefallen?«
    »Was denn?«
    Ich zog mein Kleid aus und legte mich auf die Liege.
    »Bist du dir ganz sicher?«
    Ich nickte wortlos. Shiba-san nahm jenes Instrument, das so aussah wie ein Kugelschreiber, und machte sich daran, den beiden Fabelwesen auf meinem Rücken Augen zu verleihen. Mein Drache und mein Kirin würden also sehen können. Und damit zum Leben erweckt werden.
    »Also los!« Im Einklang mit Shiba-sans Ausruf durchzuckte mich ein wohlbekannter Schmerz. Ich konnte eigentlich nicht sagen, was mich damals überhaupt dazu bewogen hatte, mich tätowieren zu lassen, aber diesmal hatte es eine Bedeutung für mich. Meine beiden Wesen bekamen ihr Augenlicht, damit ich selbst zum Leben erweckt wurde. Gemeinsam mit ihnen erhielt ich somit den Lebensfunken.
    »Und was, wenn sie fortfliegen?« fragte Shiba-san, während er die Nadel in meinen Rücken stach.
    »Na, dann sind sie eben weg. Sie haben die Freiheit zu gehen«, erwiderte ich lachend und warf einen verstohlenen Blick auf sein Gesicht. Shiba-san würde mich nicht mehr gewaltsam nehmen, sondern sich fürsorglich um mich kümmern. Alles würde gut werden. Selbst wenn er Ama vergewaltigt und umgebracht haben mochte – alles würde gut werden. Drache und Kirin öffneten ihre Augen und blickten mich aus dem Spiegel an.
    Noch vor Ladenschluß kehrte ich allein in Shiba-sans Wohnung zurück, wo ich sofort das Piercing aus der Zunge nahm und die restliche Spitze mehrmals mit Zahnseide umwickelte. Ich verspürte einen dumpfen Schmerz, als ich den Faden fester zog. Es waren noch fünf Millimeter Fleisch übrig, so daß ich eigentlich zur Rasierklinge hätte greifen können. Statt dessen nahm ich eine Augenbrauenschere und schnitt die Zahnseide entzwei. Der Wickel platzte auseinander, die Schmerzen ließen sofort nach. War es das, wonach ich getrachtet hatte? Ein unförmig klaffendes Loch? Hatte ich das gewollt? Als ich in den Spiegel schaute, erblickte ich den Spalt im Fleisch, der vom Speichel benetzt schimmerte.
    Am nächsten Morgen erwachte ich im grellen Sonnenlicht. Meine Kehle war völlig ausgedörrt; ich schleppte mich in die Küche. Als ich direkt aus der Plastikflasche das eisgekühlte Wasser hinunterstürzte, spürte ich, wie es das Loch in meiner Zunge passierte und die erfrischende Flüssigkeit immer tiefer durch meine Eingeweide rann gleich einem Fluß, der in meinem Körper entsprang.
    Shiba-san kam auch langsam aus den Federn und rieb sich verwundert die Augen, als er mich vorm Spiegel erblickte.
    »Was ist mit dir?«
    »In mir ist ein Fluß entsprungen.«
    »Häh? Mann, ich hatte vielleicht einen blöden Traum.«
    »Was denn für einen?«
    »Ein guter alter Freund von mir machte Hip-Hop, und ich sollte ihn besuchen. Doch ich hab’s nicht geschafft und kam zu spät. Er und seine Kumpel waren sauer auf mich und haben dann angefangen zu rappen, um ihren Frust an mir auszulassen. Ich war von einem Dutzend Typen umzingelt, die mich anrappten. Ein Rapsong des Zorns.«
    Während ich Shiba-san zuschaute, wie er sich mühsam aus dem Bett quälte, überlegte ich mir, ob mein neu entstandener Strom wohl noch kraftvoller fließen würde, wenn ich das Loch in meiner Zunge auf 00g weitete. Geblendet vom gleißenden Sonnenlicht, schloß ich die Lider ein wenig.
     

 Kartenkombination von Wildschwein, Hirsch und Schmetterling im Hanafuda-Kartenspiel
      Qilin ist ein chinesisches Fabelwesen. Der gesamte Körper ist mit blauen Drachenschuppen bedeckt. Den Kopf des Qilin zieren ein Hirschgeweih,
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