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Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love
Autoren: Hitomi Kanehara
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lauter Schmerz stiegen mir Tränen in die Augen. Wieso machte ich das überhaupt? Wenn Ama das mitbekam, würde es sofort wieder Streit geben. Um den Schmerz zu ertragen, kippte ich noch ein Bier.
     
    In dieser Nacht kehrte Ama nicht zurück. Es mußte etwas geschehen sein, dessen war ich mir sicher. Solange wir zusammen waren, war es nicht ein einziges Mal vorgekommen, daß er wegblieb. Er war doch über alle Maßen zuverlässig und ließ mich nie im Stich, wenn ich auf ihn wartete. Wenn er hin und wieder später von der Arbeit kam, weil er mit den Kollegen noch ausgegangen war, rief er jedesmal an, um mir Bescheid zu sagen.
    Ich versuchte ihn mehrmals über sein Handy zu erreichen, aber es meldete sich immer sofort der Anrufbeantworter. Die ganze Nacht über blieb ich wach und hatte am nächsten Morgen dunkle Ringe unter den Augen. Und nun? Was sollte ich jetzt machen? Wo trieb sich Ama nur herum? Wieso ließ er mich hier sitzen? Was dachte er sich eigentlich dabei? Eine Vorahnung überkam mich: als würde etwas still und leise zu Ende gehen.
    »Ama!«
    Mein verzweifelter Schrei gellte durch das Zimmer – ein Zimmer ohne Ama. Ich habe doch meine Zunge jetzt auf 2g getrimmt. Freu dich mit mir! Lache und freu dich, daß ich nun auch bald eine Schlangenzunge habe! Ärgere dich darüber, daß ich mich mal wieder eigenmächtig habe vollaufen lassen!
    Irgendwann stoppte ich das Gedankenkarussell, raffte mich auf und verließ kurz entschlossen die Wohnung.
    »Man kann doch auch eine Vermißtenanzeige aufgeben, ohne mit der Person verwandt zu sein, oder?«
    »Ja, das kann man.«
    Die blasierte Haltung des Beamten brachte mich auf die Palme.
    »Ach ja, vergessen Sie nicht, ein Foto mitzubringen, wenn Sie die Anzeige machen wollen.«
    Ohne zu antworten, verließ ich das Polizeirevier. Ich lief zügig, aber ziellos durch die Gegend. Plötzlich hielt ich inne. O Gott! Ein erschreckender Gedanke durchfuhr mich.
    »Ich kenne ja nicht mal Amas richtigen Namen«, hauchte ich leise. Mit einem Schlag wurde mir der Ernst der Lage klar. Wenn ich seinen Namen nicht wußte, konnte ich auch keine Vermißtenanzeige aufgeben, ich hob den Kopf und ging weiter.
     
    Shiba-san starrte mich in meiner Verzweiflung mit einem gewissen Erstaunen an.
    »Wie heißt Ama richtig?«
    »Äh? Wie? Was soll das denn jetzt?«
    »Ama ist nicht nach Hause gekommen. Ich muß ihn als vermißt melden.«
    »Wie, du kennst nicht mal seinen Namen?«
    »Nein!«
    »Obwohl ihr zusammenlebt?«
    »Ja, ich weiß …«
    Meine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Hör auf zu weinen. Du mußt doch seinen Namen irgendwo gesehen haben, auf dem Türschild, auf Briefen oder sonstwo … normalerweise«, sagte er, sichtlich beeindruckt von meinen Tränen, denn er beobachtete mich, als würde sich vor seinen Augen ein richtiges Drama abspielen.
    »Ama hat kein Namensschild an der Tür, und der Briefkasten ist dermaßen mit Werbung vollgestopft, daß er ihn gar nicht mehr aufmachte.«
    »Gestern ist er wie üblich zur Arbeit gegangen und dann nachts nicht nach Hause gekommen, ja?«
    »Genau, er ist nach der Arbeit nicht mehr heimgekehrt.«
    »Was machst du für ein Theater? Eine Nacht, ich bitte dich! Bleib locker! Man kann doch mal einen Tag weg sein, das heißt doch noch gar nichts. Ama ist schließlich kein Kind mehr.«
    Seine verständnislose Reaktion regte mich auf.
    »Mann, kapier doch! Seitdem wir zusammenleben, ist Ama nicht ein einziges Mal nachts weggeblieben, ohne mir Bescheid zu sagen. Selbst wenn er sich bloß um eine halbe Stunde verspätet, ruft er mich an.«
    Shiba-san erwiderte nichts und starrte auf den Tresen. Dann blickte er mich an und nuschelte: »Na ja, trotzdem …«
    Ich verstand selbst nicht so recht, weshalb ich mir solche Sorgen machte. Vielleicht hatte Shiba-san ja recht. Es bestand eigentlich gar kein Grund dazu, wenn jemand mal eine Nacht nicht nach Hause kam. Dennoch, ich mußte ihn suchen gehen. Wenn es den richtigen Zeitpunkt dafür gab, meinen Trumpf ausspielen, dann jetzt.
    »Ama hat höchstwahrscheinlich jemanden umgebracht.«
    »Du meinst diesen Gangstertypen, von dem die Polizei geredet hat …?«
    »Es ist alles meine Schuld. Wenn ich diesen Kerl einfach ignoriert hätte, wäre Ama nicht auf ihn losgegangen. Mensch, wer hätte gedacht, daß der krepieren würde. Als ich den Zeitungsartikel las, habe ich es auch nicht für möglich gehalten, daß es sich um den gleichen Typen handelt, den Ama zusammengeschlagen hat. Ich war fest davon
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