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Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love
Autoren: Hitomi Kanehara
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führe nur eine Liste mit Neukunden, auf der Ama nicht steht. Also werden sie ihn nicht verdächtigen, aber dennoch …«
    »Er hat doch gar nichts verbrochen. Ich war die ganze Zeit über mit ihm zusammen.«
    »Glaube ich ja auch nicht. Sorry! Ist ja nur, weil sie rotes Haar erwähnt haben. Du weißt, er hatte doch bis vor kurzem rote Haare. Deshalb war ich etwas beunruhigt.«
    »Aha«, murmelte ich und atmete tief durch. Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich spürte das Pochen im ganzen Körper. Vor lauter Zittern konnte ich kaum das Handy halten. Sollte ich mich Shiba-san anvertrauen? Es würde mich sehr erleichtern, denn ich könnte ihn dann fragen, was er von der Sache hielte. Aber war das wirklich eine so gute Idee? Wenn ich ihm alles erzählte, würde Ama bestimmt davon erfahren. Und was würde Ama tun, wenn er hörte, daß ich den Zeitungsartikel gelesen hatte? Würde er sich stellen? Oder aus der Stadt fliehen? Obwohl ich soviel Zeit mit ihm verbracht hatte und er immer sehr leicht zu durchschauen war, hatte ich auf einmal keine Ahnung, zu was er fähig sein würde. Für mich war es völlig neu, daß jemand unter Mordverdacht stand. Was ging in jemandem vor, der eventuell einen anderen Menschen auf dem Gewissen hatte? Dachte er an seine Zukunft? An Personen, die ihm etwas bedeuteten? Sein Leben, wie es bisher verlaufen war? Es mußte ihm doch allerhand durch den Kopf gehen. Doch woher sollte ich das wissen? Ich selbst sah für mich keine Zukunft, hatte überhaupt keinen Durchblick. Es gab niemanden, der mir wichtig war. Ich ertränkte mein Dasein regelrecht in Alkohol. Das einzige, was ich wußte, war, daß Ama im Laufe der Zeit ein fester Bestandteil meines Lebens geworden war und er mir inzwischen schon etwas bedeutete.
    »Lui, mach dir keinen Kopf! Ich wollte nur mal nachhaken. Kommst du denn heute vorbei?« fragte Shiba-san mit besorgter Stimme. Mein beharrliches Schweigen schien ihn zu beunruhigen.
    »Ach so … hm … danke, ich glaube, ich laß es lieber und bleib heute zu Hause. Vielleicht ein anderes Mal.«
    »Kannst du nicht doch kommen? Bitte! Ich will mit dir reden.«
    »Weiß nicht … mal sehen, wie ich mich fühle …«
    Nach dem Telefonat tigerte ich im Zimmer umher und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Es machte mich jedoch so nervös, daß ich zu trinken anfing. Ich öffnete eine Flasche Sake, die Ama und ich eigentlich gemeinsam leeren wollten, und setzte zu einem großen Schluck an. Das Zeug schmeckte unerwartet gut und rann wohlig warm durch meinen Körper. Ich konnte spüren, wie sich mein leerer Magen mit der Flüssigkeit füllte. Als ich die 0,6-Liter-Pulle ausgetrunken hatte, frischte ich mein Make-up auf und verließ die Wohnung.
     
    »Guten Tag.«
    »Hey, wieso so förmlich?« wunderte sich Shiba-san, als er mich in der Tür erblickte. »Kummer?«
    Seinen sarkastischen Gesichtsausdruck erwiderte ich mit einem ebenso trockenen Lächeln. Als ich auf den Tresen zuging, stieg mir der beißende Geruch eines Räucherstäbchens, das neben der Kasse abbrannte, in die Nase. Ich mußte mich fast übergeben.
    »Nein, jetzt mal im Ernst, mit dir stimmt doch was nicht.«
    »Was soll denn sein?«
    »Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?«
    »Vor zwei Wochen, glaube ich, oder?«
    »Sag mal, wieviel Kilo hast du seitdem abgenommen?«
    »Keine Ahnung. Bei Ama gibt’s keine Waage.«
    »Du siehst richtig magersüchtig aus, und leichenblaß im Gesicht. Außerdem hast du eine Fahne.«
    Ich erblickte mein Spiegelbild in der Glasscheibe der Vitrine. Es stimmte. Ich sah aus wie ein Insekt. Einfach entsetzlich! In solch krankhaften Zustand konnte man also geraten, wenn der Lebenswille erlosch. Genaugenommen hatte ich mich in letzter Zeit nur von Alkohol ernährt. Abgesehen von kleinen Snacks zum Drink. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal etwas Vernünftiges gegessen? Ich fand das alles nur noch absurd und prustete laut los. Meine Schultern bebten vor Lachen.
    »Gibt Ama dir nichts zu essen?«
    »Ama fleht mich dauernd an, ich solle endlich was zu mir nehmen. Aber mir reicht es, wenn ich was zum Trinken habe.«
    »Wenn du so weitermachst, wirst du verhungern. Willst du dich umbringen?«
    »Nee, hab ich nicht vor«, entgegnete ich und ging an Shiba-san vorbei ins Hinterzimmer.
    »Ich geh uns was holen. Was willst du essen?«
    »Hm … bring mir Bier mit.«
    »Bier steht im Kühlschrank. Irgendwas anderes?«
    »Shiba-san, hast du schon mal einen Menschen getötet?«
    Er warf mir einen kurzen
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