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Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love
Autoren: Hitomi Kanehara
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trieb.
    Ich tastete nach meinem Zungenpiercing. Hin und wieder hörte ich es klackern, wenn das Metall gegen meine Zähne schlug. Es tat noch weh, aber die Schwellung war schon erheblich zurückgegangen.
    »Na Lui, was ist das für ein Gefühl, einen Schritt näher an der split-tongue zu sein?« riß Ama mich aus meinen Gedanken.
    »Weiß nicht so recht. Aber ist schon irgendwie toll.«
    »Schön! Ich möchte das Gefühl mit dir teilen.«
    Amas keckernde Lache klang dreckig. Ich konnte zwar nicht genau sagen, weshalb, aber seine Miene vermittelte irgendwie diesen Ausdruck. Vielleicht lag es daran, daß seine Unterlippe durch das Gewicht der Ringe schlaff herunterhing, wenn er den Mund aufmachte. Bisher dachte ich immer, Punks wie er würden die ganze Zeit stoned rumhängen und durch die Gegend vögeln, aber es schien auch Ausnahmen zu geben. Ama war stets sanftmütig und brachte Sprüche, deren Einfühlsamkeit so gar nicht zu seinem Äußeren paßte.
    Als wir auf seinem Zimmer waren, küßte er mich lang und innig. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Seine Schlangenzunge spielte mit meinem Piercing. Der durchdringende Schmerz, der mich im Innersten meines Körpers hatte erschauern lassen, fühlte sich jetzt angenehm an. Als wir miteinander schliefen, schloß ich die Augen und dachte an Shiba-san. Nur Gott allein hat das Recht, die menschliche Gestalt zu ändern … Na und! Dann bin ich eben Gott. Ein Keuchen hallte durch den kühlen Raum. Es war Sommer, die Klimaanlage abgeschaltet, und ich war am ganzen Körper schweißgebadet. Und trotzdem wirkte dieses Zimmer kalt. Vielleicht weil Ama nur Stahlmöbel hatte.
    »Ich komme, okay?« Amas keuchende Stimme waberte in der Luft. Ich blinzelte und nickte kurz. Er zog seinen Schwanz raus und ergoß sich auf meinen Schoß. Mann, schon wieder!
    »Ich hab dir doch gesagt, du sollst auf meinem Bauch ab spritzen.«
    »Sorry, ich hab’s nicht mehr geschafft …«, entschuldigte er sich mit reuiger Stimme und zog ein Papiertuch aus der Kleenex-Pappschachtel. Ama ejakulierte ständig auf meiner Möse. Mich nervte es, wenn die Schamhaare verklebten. Ich wollte mich eigentlich von der abklingenden Lust einlullen lassen, doch nun mußte ich noch mal aufstehen, um zu duschen.
    »Nimm gefälligst einen Gummi, wenn du das nicht gebacken kriegst.«
    Ama schlug schuldbewußt die Augen nieder und entschuldigte sich noch mal. Ich wischte mich mit dem Papiertuch ab und stand auf.
    »Gehst du ins Bad?« Amas Stimme klang so flehend, daß ich abrupt stehenblieb.
    »Ja, duschen.«
    »Darf ich mit rein?«
    Ich wollte erst zustimmen, aber als ich ihn so splitternackt mit seiner belämmerten Miene sah, wurde es mir zu blöd.
    »Nee, das ist zu eng für zwei.«
    Ich schnappte mir ein Handtuch und schloß mich im Bad ein. Vor dem Waschbeckenspiegel streckte ich die Zunge raus. Auf der Spitze prangte ein silbernes Kügelchen – der erste Schritt zur Schlangenzunge. Shiba-san hatte mir gesagt, daß ich in den nächsten vier Wochen das Loch nicht weiten sollte. Es war also noch ein langer Weg dahin.
    Als ich aus dem Bad kam, brachte mir Ama einen Becher heißen Kaffee. Lächelnd schaute er mir beim Trinken zu.
    »Los, laß uns ins Bett gehen.«
    Folgsam legte ich mich neben ihn auf den Futon. Er grub sein Gesicht zwischen meine Brüste und schmuste mit den Nippeln. Ama war ganz versessen darauf – ein Ritual, das zum Vor- und Nachspiel gehörte. Seine Liebkosungen fühlten sich gut an, vielleicht lag es an der gespaltenen Zunge. Er schaute wonnig drein wie ein Baby, was sogar bei jemandem wie mir Mutterinstinkte wachrief. Als ich ihn streichelte, schaute er zu mir auf und lächelte selig. Seine Zufriedenheit steckte mich an, auch ich verspürte ein leises Glücksgefühl. Er kehrte zwar den Punk raus, aber darunter verbarg sich ein Mensch mit einer spirituellen Wirkung. Ich konnte ihn nicht ganz durchschauen.
     
    »Was?! Du spinnst! Unglaublich! Das muß doch unheimlich weh tun!«
    So lautete die Reaktion meiner Freundin Maki auf meine durchstochene Zunge. Sie begaffte das Piercing und verzog weinerlich das Gesicht, wobei sie ununterbrochen »Auaaua« wimmerte.
    »Woher kommt dieser Gesinnungswandel? Ein Zungenpiercing! Lui, ich dachte immer, du kannst Punks und dieses Shinjuku-Gesindel nicht ausstehen.«
    Ich hatte Maki vor zwei Jahren in einem Club kennengelernt. Sie war der Inbegriff eines Barbiegirls, völlig zugekleistert mit Make-up. Wir waren inzwischen dick befreundet, und durch unser
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