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Tohuwabohu

Tohuwabohu

Titel: Tohuwabohu
Autoren: Tom Sharpe
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hat.«
    Auf dem Platz vor ihnen begann durch das Historienspektakel langsam die schreckliche Wirklichkeit hindurchzuscheinen. Es wurde immer schwieriger, zu erkennen, was Illusion und was Wirklichkeit war. Historié und gegenwärtige Tragödie mischten sich unauflöslich durcheinander. An einigen Stellen mimte man den Tod mit einer Reihe heftiger Zuckungen, die die Todesqualen derer, deren Sterben keineswegs geprobt war, an Realismus weit überboten. Eine Anzahl Patientinnen aus dem Schottischen Korps mußte feststellen, daß sie zu den Klängen Tschaikowskys von Zulu-Kriegern vergewaltigt wurden, während eine Abteilung von Froschmännern, die niemals in der Nähe von Isandhlwana gewesen waren, sich mit all dem Mut ins Getümmel stürzten, den ihre Flossen zuließen. Aus dem Schutz des Zelts, in das der Kommandant gekrochen war, sah er, wie die Bedienungsmannschaft einer Feldhaubitze mit der Kanone in die Menge der streitenden Kämpfer zielte, und erblickte entsetzt Miss Hazelstone ohne ihren Tropenhelm und blutverschmiert die Operation überwachen. »Mehr Chlorat und weniger Zucker«, hörte er sie zu einem Mann sagen, der etwas, das wie ein Kopfkissen aussah, mit Pulver füllte. Der Kommandant wartete keine Sekunde länger. Er kannte Miss Hazelstones bemerkenswerte Erfahrung mit großkalibrigen Waffen allzugut, um das Risiko einzugehen, in der Schußlinie zu liegen. Die leidenschaftlichen Vorspiele einer Rekrutin des Schottischen Korps abweisend, die neben ihn gekrochen war, wickelte er sich aus der Zeltleinwand und raste auf die Tribüne zu, um dort in Deckung zu gehen. Er hatte etwa zwanzig Meter zurückgelegt, als er Miss Hazelstone den Befehl zum Feuern geben hörte, und einen Augenblick später hüllte ein Rammenmeer das britische Lager ein. Als ihn die enorme Explosion zu Boden riß und die Druckwelle ihn über den Asphalt schleifte, schloß der Kommandant die Augen und betete. Über seinem Kopf vermengten sich Teile der Feldhaubitze mit Streitern, die am Weiterkämpfen verhindert waren. Miss Hazelstone hatte die Kanone nicht bloß abgefeuert, sie hatte sie in die Luft gejagt. Kommandant van Heerden rutschte unter das Podium, dann hob er den Kopf und besah sich das langsam abflauende Chaos. Die Darsteller des Tabelaus hatten eine ganz neue und absolut überzeugende Ruhe angenommen, und man sah ganz deutlich, daß niemand die Schlacht von Isandhlwana gewonnen hatte. Der Exerzierplatz war mit schwarzen und weißen Leichen übersät, während das, was es an Überlebenden gab, jedes Interesse an der südafrikanischen Geschichte verloren hatte. Mit allen Merkmalen eines durch und durch gesunden Selbsterhaltungstriebs krochen sie auf das Krankenrevier zu. Nur das Klinikpersonal schien total den Verstand verloren zu haben. Auf der Tribüne über sich hörte der Kommandant, wie Dr. Herzog den mittlerweile verblichenen Bürgermeister immer noch zu beruhigen versuchte, daß die Speere aus Gummi seien. Dem Kommandanten erschien diese Versicherung ganz unnötig. Was den Bürgermeister auch immer erwischt haben mochte, es war aus sehr viel Tödlicherem gemacht.
    Der Kommandant wartete, bis man Dr. Herzog weggebracht hatte, ehe er aus seinem Versteck gekrochen kam. Er stand auf und sah sich um. Die Geschichte war nicht nur dargestellt worden, dachte er, hier war sie gemacht worden. Nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart und die Zukunft Südafrikas waren in der Verwüstung zu erblicken, die sein Auge grüßte. Sich seinen Weg über die Leichen hinweg bahnend, steuerte der Kommandant auf einen großen Krater zu, der in die Mitte des Exerzierplatzes gesprengt war. An seinem Rand lagen die Reste eines federgeschmückten Tropenhelms und der Stern, den Miss Hazelstone getragen hatte.
    »Ein letztes Andenken«, murmelte er und hob sie auf. Dann drehte er sich um und ging, noch immer benommen und schwankend, zu seinem Wagen zurück.

Kapitel 19
    Am Morgen seiner Hinrichtung wurde Jonathan Hazelstone die übliche Vergünstigung, sich ein herzhaftes Frühstück aussuchen zu können, mit der Begründung verweigert, daß vor allen größeren Operationen die Patienten mit einer leichten Erfrischung auskommen müßten. Anstelle von Schinken mit Ei, was er bestellt hatte, wurden ihm eine Tasse Kaffee und der Besuch eines anglikanischen Geistlichen zugestanden. Für Jonathan war es schwer, zu entscheiden, was von beiden das Unangenehmere war. Alles in allem aber fand er den Kaffee wohltuender.
    Seine Bindungen mit der Kirche
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