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Tödliches Abseits (German Edition)

Tödliches Abseits (German Edition)

Titel: Tödliches Abseits (German Edition)
Autoren: Jan Zweyer
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und Totschläger ausrichten.
    Am Haltepunkt Herne-Börnig versuchten Vincente und einige andere fluchtartig den Wagon zu verlassen. Der Italiener stürmte in Richtung der Tür, die ihm am nächsten lag. Dabei passierte er drei Dortmunder, die einen schubsenden und zerrenden Pulk bildeten. Zwei der drei brüllten sich lautstark an.
    Im Vorbeilaufen erkannte Vincente den schlanken Schwarzhaarigen, der ihm schon vor einigen Minuten aufgefallen war. Für einen Moment trafen sich ihre Bli-
cke. Vincente konnte keinen Hass oder Schmerz in den Augen des Hageren erkennen, eher einen Ausdruck großer Resignation oder Enttäuschung.
    Vincente hatte fast den rettenden Ausgang erreicht, als er etwas Blitzendes registrierte. Es sah so aus, als ob einer von den drei schwarz-gelben Kontrahenten ein Messer gezückt hatte. Sicher war sich der Italiener aber nicht.
    Auf dem Bahnsteig rannten einige der Flüchtenden nach vorne zum Zugführer und riefen um Hilfe. Vincente zog es vor zu verschwinden. Mit den Bullen wollte er nun wirklich nichts zu tun haben.
     
    Der Zugführer verständigte über Funk die Bahnpolizei, setzte die Fahrt fort und hoffte im Interesse des Fahrplanes und seiner Gesundheit inständigst, dass der Konflikt auf die mittleren Wagen beschränkt blieb und sich nicht bis zu ihm fortsetzen würde.
    Nachdem der Zug in den Bahnhof Castrop-Rauxel Süd eingefahren war, verließen die Hooligans auf ein Kommando ihres Anführers den Zug, stürmten die Bahnsteigtreppe hinunter, steckten im Fortlaufen ihre Waffen und Vereinsembleme in die Taschen und mischten sich unauffällig unter die Passanten.
    Als zwei Minuten später drei Streifenwagen mit quietschenden Reifen vor dem Bahnhof hielten, war keiner mehr als Schläger zu identifizieren.
    Die Beamten sondierten zunächst die Lage und betraten dann den Bahnsteig, auf dem die Emschertalbahn wartete. Vereinzelt gab es noch kleinere Rangeleien zwischen den Fangruppen, die aber von den Polizisten recht schnell beendet werden konnten.
    Einer der Beamten betrat den Wagon, in dem die Schlägerei ihren Anfang genommen hatte. Stöhnende Fans beider Lager leckten ihre Wunden. Langsam ging der Polizist die Sitzreihen entlang.
    Etwa in der Mitte des Wagons saßen sich am Fenster zwei mit schwarz-gelben Trikots bekleidete Männer gegenüber. Einer war etwa zwanzig Jahre alt und hatte gute dreißig Kilo Übergewicht. Sein Bierbauch hing schwer über den Gürtel seiner Jeans. Der Kopf war leicht nach hinten geneigt, der Mund geöffnet. Er schlief. Mit jedem lauten Schnarchton wehte eine Alkoholfahne zu dem Polizeibeamten herüber, der verwundert über diese Bierseligkeit den Kopf schüttelte. Dann entdeckte er die Blutspuren auf dem Trikot des Schlafenden.
    Der Kopf des anderen Dortmunder Fans war nach vorne auf seine Brust gesunken. Sein linker Arm hing schlaff herunter. Auch er rührte sich nicht. Das lag allerdings nicht an einem Vollrausch, sondern an dem Messer, das bis zum Heft in seinem Brustkorb steckte, genau da, wo sich sein Herz befand.
    Der Polizist bückte sich und sah von unten in das Gesicht. Die Augen des Fans waren weit aufgerissen und blickten starr ins Leere. Aus dem Mundwinkel rann etwas Blut. Der Beamte griff hastig zum linken Arm des Opfers und versuchte erfolglos, einen Puls zu finden. Der Mann war tot.
    Es dauerte einen Moment, bis sich der Polizist von seinem Schreck erholt hatte. Dann lief er aus dem Wagon und rief seinen Kollegen zu: »Hier liegt ein Toter! Verständigt die Kripo. Und lasst keinen von denen«, er zeigte auf die verbliebenen Fans auf dem Bahnsteig, »hier weg.«
    3
    Seit er denken konnte, war Schalke 04 sein Leben. Das lag bei ihm in der Familie. Sein Vater hatte ihn am Tag seiner Geburt vor fast dreißig Jahren im Verein angemeldet, einen Kleinkredit aufgenommen und den erforderlichen Mitgliedsbeitrag bis zu seiner Volljährigkeit im Voraus bezahlt. Natürlich war auch Vater Mitglied bei Königsblau gewesen. Bis zu seinem Tod vor zwei Jahren.
    Nur schemenhaft erinnerte er sich an die Tage, als Vater ihn als Kleinkind im Kinderwagen mit auf die Glückaufkampfbahn in Schalke genommen hatte. Er war sich sowieso nicht sicher, was an den zerstückelten Bildsequenzen in seinem Kopf eigene Erinnerung oder durch Erzählungen seines Vaters ausgelöste Vorstellungen waren. Wie auch immer, der Gedanke an die vielen Menschen mit Fahnen, den festen Griff, mit dem Vater seine Beine fest hielt, damit er nicht von dessen Schultern gleiten konnte, die Begeisterung
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