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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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beugtest, wurden die Professoren schmallippig und ungehalten. Noch während meines ersten Jahres rief Dr. Taffner eines Tages, als wir aus dem Seminarraum stürmten: »Miss Céspedes!«
    Ich drehte mich um.
    »Junge Frau«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der steifen Leinenbluse, »ich werde Ihnen einen guten Rat geben.«
    »Ja?«
    »In der Welt, der anzugehören Sie offensichtlich anstreben, hält man sich an Termine. Lehrveranstaltungen beginnen und enden zur vorgesehenen Zeit. Besprechungen fangen zu dem Zeitpunkt an, der dafür festgelegt worden ist.« Sie zog die sauber gezupften Brauen hoch. »Machen Sie es sich zur Gewohnheit, pünktlich zu sein, Miss Céspedes. Oder Sie bleiben auf der Strecke. Mit Sicherheit. Das ist zumindest mein Rat für den Fall, dass Sie auf der sozialen Leiter weiter nach oben wollen.« Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. »Und Sie sind doch ein kluges Mädchen, wenn mich nicht alles täuscht.«
    Sie entließ mich mit einem Nicken, und ich fühlte mich entsetzlich gedemütigt – aber seitdem bin ich nie wieder zu spät gekommen. Wirklich lehrreich sind die Lektionen, die wehtun.
    »Nola, Süße!«
    Ich drehe mich um – und entdecke Calinda in ihrem gelben Seidenkostüm; lächelnd und mit weit ausgebreiteten Armen kommt sie auf mich zu. Ich hüpfe vom Barhocker direkt in ihre Umarmung und schnuppere ihren Duft, eine Mischung aus Mandarine und Moschus. »Kommt mir vor, als wär’s ein Jahr her, ehrlich«, sagt sie. »Und weißt du was? Der Laden ist echt schick, hier war ich noch nie.«
    Calinda ist in Baton Rouge aufgewachsen und hat sich zum Jurastudium weit hinauf in den Norden bewegt, bis zur Cornell University in Ithaca, New York. Ihre Zeit dort fasst sie in etwa so zusammen: »Kalt, dass du dir den Arsch abfrierst, und ich stapf da durch den Schnee und frag mich immer nur, wo ich was Anständiges zu essen kriege.« Sobald sie ihren Abschluss in der Tasche hatte, ist sie hier herunter gezogen. Man sieht ihr an, dass sie die Küche von New Orleans liebt, aber sie hat mehr Dates, als sie zählen kann. Die Männer erfassen ihre Sinnlichkeit und ihre natürliche Freundlichkeit auf den ersten Blick. Ihre Haut strahlt, und wenn sie redet, gleiten an ihren glatten Unterarmen mehrere Kupferreife klingelnd auf und ab. Sie hat eine Art goldene Aura, die einen unweigerlich anzieht; man möchte einfach eine Weile in ihrer Nähe sein und daran teilhaben. Sie ist noch auf der Suche nach einem geeigneten Workout-Programm für zu Hause – »so viel zur Auswahl, und nichts davon taugt was« –, aber allzu ernst ist es ihr damit nicht.
    Wir suchen uns eine freie Ecke, machen es uns in den Ledersesseln bequem, schlagen die nackten Beine übereinander, lassen die Sandalen baumeln und lächeln den Anwälten und Börsenmaklern zu, die interessiert zu uns herüberäugen. Calinda testet den Rhum , ich nehme noch einen, und beide erzählenwir ein bisschen von der Arbeit. Schließlich hievt sie ihre Aktentasche auf den niedrigen Tisch, der zwischen uns steht.
    »Das lade ich jetzt gern ab.« Sie zieht ein dickes Bündel Unterlagen aus der Tasche. »Die wird auf dem Heimweg schön leicht sein.« Damit stapelt sie die Akten auf dem Tisch und lässt den Verschluss der Tasche zuschnappen. »Ich brauche sie aber vollständig zurück«, fügt sie hinzu.
    »Natürlich.« Am liebsten würde ich sofort danach greifen, die Mappen durchblättern und mir das Material anschauen, aber das hier ist schließlich auch ein privates Treffen. Während wir so dasitzen und reden, zwinge ich mich, Calinda in die Augen zu schauen, aber am Rand meines Blickfelds lockt immer der Stapel Akten. Ich verschränke die Hände ineinander, um sie im Zaum zu halten.
    »Der Typ im Archiv sagt, du hast dir da ein paar richtig fiese Kerle rausgesucht.«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Scheint mir kein typisches Thema für ›Leben & Mehr‹ zu sein.«
    Ich nippe an meinem Rum.
    »Na ja, wie auch immer«, fährt sie fort, »wir haben da gerade einen Fall auf dem Tisch, der dich vielleicht interessiert, wenn du dich mit solchen Typen beschäftigst.« Dabei tippt sie auf den Stapel. »Eine Entführung im French Quarter, gestern Morgen. Am helllichten Tag. Eine Touristin aus Kansas, fünfundzwanzig Jahre alt. Au-pair-Mädchen. Sie sitzt mit der Familie in einem Restaurant beim Frühstück, und dann, auf einmal – ist sie verschwunden.«
    »Eine Weiße?«
    »Ja, das New Orleans Police Department ist in Aufruhr. Sie haben überall im
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