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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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gleiche abgetretene grüne Teppichboden wie in der Nachrichtenredaktion, und die Wände sind bei uns ebenso pfirsichrosa gestrichen wie dort, aber damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Drüben bei den Nachrichten, wo Reporter mit gesenkter Stimme über Kriminalität und Korruption reden und mit ihren gelockerten Krawatten und aufgekrempelten Ärmeln todo ernst aussehen, gibt es keine verspielte Deko. Auf dem Boden wie auf den Tischen türmen sich schwankende Stapel aus Heftern, Büchern und losen Computerausdrucken. Daten, Fakten. Kein Schnickschnack.
    So wenig sie mich auch lockt, diese Story über die Sexualstraftäter könnte mein Durchbruch werden.
    Den Nachmittag verbringe ich weitgehend mit Onlinerecherchen am Schreibtisch. Ich durchforste die Sexualstraftäter-Datenbank der Staatspolizei von Louisiana. Sie ist benutzerfreundlich, die Daten sind übersichtlich aufbereitet – und alarmierend. Im gesamten Stadtgebiet von New Orleans finden sich, überlappend wie Dachziegel, kleine blaue Quadrate, die jeweils für den Wohnort eines solchen Täters stehen. Es sind Hunderte. Ich klicke die Einzeleinträge an und sehe, dass viele rot markiert sind, was bedeutet, dass es bei dem fraglichen Mann Schwierigkeiten gibt – dass sein Aufenthaltsort unbekannt ist, dass er untergetaucht ist.
    Als Erstes nehme ich mir vor, ein paar der Täter mit bekanntem Wohnort zu interviewen. Und wenn ich die Story schon schreiben muss, soll sie auch richtig für Wirbel sorgen. Wenn sie wahrgenommen wird, kann ich mir damit einen Namen machen und vielleicht ins Lokalressort wechseln. Also suche ich nach Tätern, die die Aufmerksamkeit der Leser garantieren, und treffe schließlich eine wohlbedachte Auswahl. Zwanzig Männer, von denen bekannt ist, wo sie sich aufhalten.
    Bei einer durchorganisierten, korrekten, blitzsauberen Stadtverwaltung die Akten von zwanzig Ex-Sträflingen anzufordern würde Tage, wenn nicht Wochen dauern. Ich müsste Formulare ausfüllen, Unterschriften einholen, mich durch endlose Bürokratie wühlen. Aber in einer Stadt, die für Korruption im großen Stil bekannt ist, kommt man mit kleinen Gefälligkeiten ohne weiteres durch.
    »Kein Problem«, sagt Calinda, meine Freundin bei der Staatsanwaltschaft, als ich sie anrufe. »Ich weiß jemanden im Archiv, der mir einen Gefallen schuldet. Gib mir einen aus, und du kriegst sie.«
    Ich lache. »Gebongt.«
    »Bist du an einer Story dran?«
    »Vielleicht. Wann kann ich die Akten haben?«
    »Heute Abend? Wenn du mir die Namen mailst, kann ich den Typ im Archiv gleich darauf ansetzen.«
    »Super.« Das ist genauso einfach, wie man in dieser Stadt Drogen kaufen kann. »Wie lange kann ich sie behalten?«
    »Mindestens eine oder zwei Wochen.«
    Ich schlage vor, dass wir uns auf einen Drink in der Bar neben dem Gericht treffen.
    »Um Gottes willen, nein! Hol mich bloß aus dieser miesen Gegend raus!«
    »Wie wär’s mit dem ›Vic‹?« In der »Victorian Lounge«, einem Nobel-Pub, arbeitet mein Mitbewohner Uri. Der Laden befindet sich im »Columns«, einem großen alten Hotel an der St. Charles Avenue im Garden District; man kann auf der großen Veranda sitzen, Live-Jazz hören und die Edelkarossen beobachten, die unter dem Laubdach der Eichen vorbeirollen. Das absolute Gegenteil der Tulane Avenue mit ihren schnörkellosen kleinen Bars rund um das Gericht, wo Kautionsbürgen, Wachleute, Cops, Staatsanwälte und soeben aus der Haft entlassene Kriminelle sich auf ein kaltes Bier niederlassen.
    »Uptown, genau, das klingt schon viel besser«, sagt Calinda. »Wann?«
    »Um acht?«
    »Acht ist ganz fantastisch, Süße«, flötet sie, um schon ein bisschen Uptown-Sprech zu üben.
    19.55 Uhr manövriere ich meinen klapprigen, von der Sonne Louisianas ausgebleichten, ehemals schwarzen Pontiac Sunfire in eine Lücke zwischen einem silbrigen Mercedes und einem blitzenden Jaguar in dunklem Urwaldgrün. Ich drehe den Rückspiegel etwas zu mir hin, lockere mein Haar mit den Fingern und lege einen Hauch pflaumenblaues Lipgloss auf. Mit meiner Kiste ist es vielleicht nicht weit her, aber das braucht im »Columns« niemand zu wissen. Ich knalle die Tür zu, straffe die Schultern und überquere mit klackenden Absätzen Parkplatz und Fußweg.
    Ins »Vic« zu kommen ist, als betrete man einen Schokotrüffel – einen sehr, sehr teuren Schokotrüffel. Wände und Decke, mit Mahagoni getäfelt, glänzen in warmem Dunkelbraun. Der Buntglas-Kronleuchter wirft Kaskaden von goldenem Licht herab,
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