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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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neben dem Geschäftsführer stehen, und Sophie umklammerte Cecilys Hand,während er zusammen mit den Polizisten noch einmal alles absuchte, das ganze Gebäude und dann die Straße davor, die Durchgänge zwischen den Häusern und die Geschäfte in der näheren Umgebung. Aber Amber Waybridge war nicht da. Nirgendwo.

1
    »Du wolltest doch eine Story, Nola.« Eine dünne Mappe segelt auf meinen Schreibtisch, und neben mir steht, an einen Pfeiler gelehnt, plötzlich die lange, hagere Gestalt von Theo Bailey, Chefredakteur der Times-Picayune . »Das ist eine.«
    »Wirklich?« Immerhin ist der erste April. Ein Tag für Scherze. »Im Ernst?«
    »Eine Reportage. Deine, wenn du willst.« Für jemanden, der seine Tage damit zubringt, unangenehme Telefonate zu führen, hat Bailey erstaunlich nette Krähenfüße. Offensichtlich hofft er, dass ich mich freue.
    In unserem Stall, dem Ressort Leben & Mehr, sind das Jazz Fest, der neue Komodowaran im Zoo und die eben eröffnete Schickimicki-Boutique in der Magazine Street die ernstesten Themen. Hier kriegt man Chefredakteur Bailey – Galionsfigur jener harten, schonungslosen Berichterstattung, die der Picayune seit Katrina schon einige Preise eingebracht hat – nicht oft zu sehen. Meine Kollegen haben sämtlich sowohl das Reden als auch das Tippen eingestellt. Claire, die Ressortleiterin, die die Nase gründlich voll hat von mir, fährt sich mit einer Hand durch das lange, glatte blonde Haar und tut so, als höre sie nicht zu. Die anderen starren ganz unverhohlen herüber. Seit Monaten liege ich dem Chef in den Ohren, er soll mir eine handfeste Story geben – »was Richtiges«, habe ich im Beisein all meiner Kollegen sehr undiplomatisch gesagt. Jetzt wollen sie sehen, was es mir gebracht hat.
    Langsam schlage ich die Mappe auf.
    »Es ist ein Dauerbrenner«, sagt Bailey, »eilt also nicht sonderlich. Ich weiß, dass du auch mit deinen anderen Artikeln noch zu tun hast. Lass dir Zeit.«
    »Wie viele Wörter?«
    »Tausend.« Er strahlt, als wäre Weihnachten, als müsste ich mich jetzt aber auch freuen über meinen neuen, süßen Welpen. »Liefer was Gutes ab, dann sehen wir weiter.«
    Ich überfliege das Material, das ein erfahrener Schreiber bereits zusammengetragen und dann doch für nicht wertvoll genug befunden hat, um noch mehr Zeit darauf zu verwenden, und sehe auf den ersten Blick, was in der Geschichte steckt. Mir bleibt fast die Luft weg. Aber es ist nicht das, was ich mir gewünscht habe. Ganz und gar nicht.
    2005, als der Hurrikan Katrina die Stromversorgung kappte und Bürgermeister Ray Nagin die Evakuierung der Stadt anordnete, sind über dreizehnhundert registrierte Sexualstraftäter durch die Maschen gerutscht. Jetzt, drei Jahre danach, gelten immer noch achthundert als untergetaucht, und wir alle wissen, wie sehr es Leute, die einmal in New Orleans gelebt haben, wieder hierher zieht. Das bedeutet, in der Stadt können jede Menge potenziell Perverse unterwegs sein.
    Ein Reporter aus dem Lokal-Ressort wollte untersuchen, wie die Stadt damit umgeht. Sind die Rehabilitationsmaßnahmen effektiv? Greift das Gesetz zur Registrierung von Sexualstraftätern wieder? Wie sollen diese in ein normales Leben zurückfinden, wenn ihre Nachbarn vor ihnen gewarnt worden sind? Wie geht es den Nachbarn damit?
    Das könnte ein Riesending werden, ein wichtiger Karriereschritt, eine Aufgabe von genau der Art, um die ich gebettelt habe. Aber Sexualstraftäter interviewen – Vergewaltiger, Perverse, Widerlinge? Schon der Gedanke jagt mir eine Scheißangst ein, ehrlich. Hätte Bailey nicht mit einer netten, sicheren Sache kommen können, Korruption oder so was?
    Ich lasse den Deckel der Mappe zuklappen. »Was zur Hölle soll das, Bailey?«
    Es wird merkwürdig still. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich gerade beruflichen Selbstmord begehe, ist groß, und keiner will verpassen, wie ich schreiend in Flammen aufgehe.
    Denn wenn du ein Mann bist, wenn du alteingesessener Lokalredakteur bist, wenn du Chris Rose bist oder einer von den anderen Typen, die dem Blatt zu einem Pulitzer-Preis verholfen haben, dann kannst du es dir leisten, in dem Ton mit dem Chef zu reden. Nicht ich. Nicht eine Siebenundzwanzigjährige, die seit zwei Jahren in der Klatschspalte festhängt.
    Und ich weiß, dass sie mich alle zu laut finden – laut im Wortsinn, wenn ich mit meinem aus der Kindheit zurückgebliebenen spanischen Einschlag über alle Schreibtische hinweg rede, und laut in meiner Art, mich zu kleiden, mit
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