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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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und dunkle Ledersessel hocken wie zusammengekauerte Dämonen da und flüstern dir zu, dass du in ihnen versinken kannst, ohne je wieder aufstehen zu müssen.
    Der typische Duft der Bar, Magnolie und Tabak, schlägt dir entgegen und steigt dir in die Nase wie in einem alten Cartoon. Uri hat mir erzählt, dass es zu seinen Aufgaben gehört, einmal am Abend eine kleine Portion kubanischen Tabak in eine Duftschale zu streuen und zu verbrennen. In Zeiten, da nirgends mehr geraucht werden darf, ist das die einzige Möglichkeit, den Duft frisch und echt zu erhalten. Draußen auf dem zur Straße hin gelegenen Balkon spielt eine Bläserformation Blues und Old Jazz – laut genug, um die Gäste auf jeden Fall wissen zu lassen, dass die Welt wirklich wundervoll ist, aber nicht so laut, dass ein Gentleman je die Stimme erheben müsste, um von seiner Begleitung verstanden zu werden. So steht es in dem Handbuch mit Anweisungen. Uri hat es mir gezeigt.
    Er steht an der Bar – seine Krawatte ist schwarz, das Hemd mit den aufgekrempelten Ärmeln weiß, sein Lächeln breit und herzlich.
    »Hallo, Baby.« Ich lasse mich auf einem Barhocker nieder.
    Offenbar freut er sich. »Was machst du hier?«
    »Außer dich anzugaffen, schöner Mann? Nichts.«
    »Im Ernst.«
    »Ich bin verabredet. Hat mit der Arbeit zu tun.« Er kennt Calinda nicht. Als kluger Mann räumt er an unseren Mädchenabenden immer das Feld – und mir ist es lieber, die unterschiedlichen Bereiche meines Lebens getrennt zu halten. Fein säuberlich.
    »Ach so, na dann«, sagt er, bohrt aber nicht weiter. »Und, was nimmst du?«
    »Was gibt’s denn Gutes?«
    Er mustert mich nachdenklich, spitzt die vollen Lippen. »Weißt du, was dir bestimmt schmecken würde?« Er holt einen Schwenker aus dem Regal, angelt eine Flasche von dem Bord mit den ganz edlen Sachen und präsentiert mir das Etikett. »Hast du den schon mal probiert?«
    Auf der Flasche – hergestellt in Martinique – ist ein Schiff abgebildet. Rhum Agricole , steht darauf. Réserve Spéciale . »Was ist das?«
    »Rum.« Er gießt zwei Fingerbreit ein und schiebt das Glas zu mir herüber.
    »Einfach so pur?«
    »Den trinkt man rein. Wie Cognac.« Voller Zweifel hebe ich das Glas und schwenke es, bis die braune Flüssigkeit einen glitzernden Strudel bildet. »Die meisten Rums werden aus Melasse gemacht, Rhum Agricole aber aus reinem Zuckerrohrsaft. Koste einfach.«
    Ich nehme einen kleinen Schluck, und meine Zunge schmilzt, meine Kehle wird heiß.
    Er lächelt – ganz der zufriedene Barkeeper . »Siehst du? Ich hab gewusst, dass er dir schmeckt.«
    Mittelschichtler sind gar nicht so, wie sie in den Sitcoms dargestellt werden. Während meiner Kindheit in den Desire Projects habe ich mir gezielt solche Serien angeschaut, um etwas über Menschen zu lernen, um mir vorzustellen, wie so ein Mittelschicht-Leben wäre. Aber Uri, mein schwuler Mitbewohner, ist keiner dieser Typen, die eine Pointe nach der anderen von sich geben – er ist noch nicht mal lustig. Und weder gibt er mir Ratschläge in Sachen Kleidung noch verwickelt er mich in Gespräche darüber, welche Männer wir attraktiv finden. Er ist freundlich und ernst; vormittags arbeitet er an seinem Roman, und täglich ab nachmittags kümmert er sich im »Vic« um die Bar. Er ist durchtrainiert und sieht gut aus, ist aber schüchtern und trägt normale Männerklamotten und eine Brille mit Drahtgestell, die alles andere ist als ein Fashion Statement; würde er sie jetzt abnehmen, könnte er die Zapfhähne nichtmehr erkennen. Er ist der netteste weiße Mann, dem ich je begegnet bin.
    Uri wendet sich seinen anderen Gästen zu, und ich trommele mit den Fingern auf das polierte Holz, während ich auf Calinda warte. Ich bin immer pünktlich oder sogar etwas zu früh – was in New Orleans, wo man es nicht so eilig hat, bedeutet, dass ich in der Regel warten muss. Trotzdem gelingt es mir nicht, diese Gewohnheit abzulegen. Die Pünktlichkeit ist mir im College eingebrannt worden.
    Als Neuling an der Tulane University war ich notorisch spät dran. Da, wo ich herkam, im Oberen Neunten Bezirk, hatte das niemanden gestört. Zeitangaben waren relativ. Die Leute kamen, wann sie eben kamen. Hattest du den Bus verpasst, bist du einen später gefahren. Ging dir der Job flöten – na und? War sowieso ein Nervjob, und du wusstest, irgendwas im Niedriglohnsektor fand sich immer.
    Aber an der Tulane galten andere Regeln. Uhr und Kalender regierten alles, und wenn du dich dem nicht
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