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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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hätten; er ist festgenommen worden, weil er die Haushaltshilfen begrapscht hat. Und Javante Hopkins, ein junger Typ aus dem Neunten Bezirk, der nach seiner dritten Vergewaltigung endlich im Gefängnis gelandet ist. Er mochte es, seine Opfer ein bisschen zu schneiden. Da unten.
    Mich schüttelt es. Bei dem Gedanken an diese Einzelheiten fange ich an zu zittern. Die Touristin fällt mir ein, von der Calinda erzählt hat – die gefrühstückt hat und von einem Moment auf den anderen verschwunden ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach befindet sie sich jetzt in genau solcher Gesellschaft. Wenn sie sich überhaupt noch in Gesellschaft befindet.
    Nach und nach sehe ich die übrigen Akten durch, sortiere einige aus und lege noch ein paar auf mein Häufchen. Als ich die letzte aufschlage, atme ich unwillkürlich heftig aus und werfe mich nach hinten, gegen die Sessellehne. Volltreffer . Im French Quarter. Ein weißer Mann mittleren Alters, Blake Lanusse, stellvertretender Direktor einer Grundschule und alteingesessener Cajun – verurteilt, weil er innerhalb eines einzigen Jahres drei Schülerinnen belästigt hat. Ihre verstörten Gesichter blicken mir aus der Akte entgegen. Wer könnte für meine Story passender sein – irritierender – als ein Mann, der eine Autorität war, zu dem alle so viel Zutrauen hatten, dass sie ihm Kinder anvertraut haben? Mein Arm fliegt hoch und winkt Uri herbei.
    »Noch so ein Ding, bitte.«
    »Bist du sicher? Du musst noch fahren.«
    »Absolut sicher.«
    Ich starre auf das bleiche Gesicht des Täters, studiere jedes noch so unangenehme Detail seiner Geschichte und lege seine Akte schließlich mit einer gewissen Befriedigung auf meinen Stapel.
    Uri hat sich Zeit gelassen. Jetzt bringt er mir den Drink und stellt ein Glas Wasser dazu. »Was ist das eigentlich?«
    »Nichts. Arbeit.« Ich klappe die Hefter zu und hole mein Portemonnaie heraus.
    »Nein. Geht aufs Haus«, sagt er und schiebt meine Kreditkarte weg. »Es ist nett, hier mal ein vertrautes Gesicht zu sehen.«
    »Bist du verrückt?« Ich weiß vielleicht nicht viel, aber dass Réserve Spéciale nicht billig sein kann, ist mir klar.
    »Mach einfach irgendwann mal wieder flan , dann sind wir quitt.«
    »Du bist ein Heiliger.«
    »Ach was. Aber du mach mal langsam. Und trink auch das Wasser, ja?«
    Da sitze ich nun, schlürfe meinen Rum und starre auf das Aktenhäufchen: ein Kirchenmann, ein Reicher, ein stellvertretender Direktor. Weiße Männer, schwarze Männer, junge Kerle und alte – es hat was von einem pervertierten Dr.-Seuss-Kinderbuch.
    Schließlich lehne ich mich zurück, nehme die warme, entspannte Atmosphäre des »Vic« in mich auf und suhle mich im süßen, schäbigen Vorgefühl meines Erfolgs.
    Als ich allein in die dunkle Wohnung komme, ist es Mitternacht. Uris Hund, Roux, kommt angetappt, und ich kraule ihm den knochigen braunen Kopf. In mir klingt nach, was an diesem Tag alles spannungsgeladen und anstrengend war, und plötzlich trifft es mich mit voller Wucht: die Auseinandersetzungmit Bailey; mein neu gewonnenes Wissen darum, wie viele Sexualstraftäter sich hier in der Stadt aufhalten – sogar in diesem Viertel, in meiner Straße; die verstörende Litanei ihrer Verbrechen. Ich bin müde, und unter der Last dessen, was ich mir vorgenommen habe, fühle ich mich, als müsste ich unter Wasser atmen.
    Also tue ich, was ich immer tue, wenn ich allein bin und schwermütig. Ich rolle die dicken, roten Sofakissen zusammen, knie mich darauf wie zum Gebet, strecke die Hand nach der gerahmten Kuba-Karte aus, die über dem Sofa an der Wand hängt, und berühre die Heimat, die ich nie gesehen habe. Langsam, in einem stummen Ritual, ziehe ich die Konturen der Insel mit den Fingerspitzen nach, und es hat etwas Tröstliches, unter dem Glas Havanna zu spüren, Cayo Coco und Santiago. Die sanften Buchten, die felsigen Küsten, das pulsierende Leben am Strand von Varadero.
    Und das arme Guantánamo. Beweis dafür, dass die Mächtigen dir etwas nehmen, einen Zaun darum ziehen und es für sich beanspruchen können.
    Mondsichelstadt – Crescent City – wird New Orleans genannt, der Ort, an dem ich geboren bin und schon siebenundzwanzig Jahre lang lebe, aber meine Mutter ist waschechte Kubanerin, una Marielita und Waise, 1980 direkt vom Boot gekommen. Sie hat Miami geliebt, noch mehr aber einen Mann. Angelockt von seinen Versprechungen – Faschingsrausch am Mardi Gras, Federmasken, Tanz auf allen Straßen – ist sie mit ihm in seinem
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