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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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alten Corolla die Golfküste entlanggerumpelt und schließlich in New Orleans gelandet.
    Schon zur Fastenzeit zog er weiter Richtung Westen, tauchte ab, wurde Geschichte: andere Frauen, andere Namen, die er benutzte, andere Kinder, mit denen er spielte, noch bevor ich geboren wurde.
    So hat meine Mutter mich, ein vaterloses Mädchen in einer kreolischen Stadt, 1981 Nola genannt, nach dem Akronym für New Orleans, das ihr so gefiel. »Es klingt sogar spanisch, querida .« Nola Soledad Céspedes. Als ich vier Monate alt war, fing Mamá an, mir süße, klebrige plátanos – Bananen – zwischen die Lippen zu schieben, weil sie zu tun hatte, weil sie putzen ging und dieses Baby auf feste Nahrung umgestellt werden musste. Wenn du hungrig genug bist, ernährst du dich von dem, was da ist.
    Und wenn du in einem Komplex mit Sozialwohnungen aufwächst – den Desire Projects, die 2003, dem Jahr, in dem ich das College abschloss, endgültig abgerissen wurden –, kriegst du so ziemlich alles zu sehen. Wie jeder Gauner mit fragwürdigen Tricks operiert, habe ich all die schaurigen Einzelheiten  (Drogenhandel; Messerstechereien; gewalttätige Ehemänner; Frauen, die sich verkaufen; du, wie du dich über deine Hausaufgaben beugst, während draußen Schüsse durch die Dämmerung hallen) in meinen Bewerbungsessay gepackt, das Ganze zu einer American-Dream-Story über Kämpfen und Triumphieren geknetet und damit ein Stipendium für die Tulane University ergattert, die nur ein paar Busstationen weit weg war und doch eine andere Welt bedeutete. Dort, auf den üppigen Rasenflächen und in den cremefarbenen Gebäuden, habe ich die Augen weiterhin offen gehalten für Ungerechtigkeiten aller Art, und irgendwann habe ich meine eigene Late-Night-Radiosendung gemacht, auf WTUL, 91,5 FM, wo ich laut und mit großer Klappe über Rassen und Klassen vom Leder zog. Es war einfach eine Möglichkeit, den ganzen Dampf abzulassen, der sich im Lauf der Jahre in mir aufgebaut hatte, aber – milagro über milagro – das Timing stimmte. Die Leute von der Uni-Zeitung, The Hullabaloo – in einem von zwölf Alumni verfassten Brief als »selbstgefällig« bezeichnet und auf der Suche nach einem ernsteren Profil – mochten mein spätabendliches Gezeter so, dass sie anfragten, ob sie Transkriptionen davon drucken könnten. Danach bedurfte es nur noch einer freundlichen Unterredung mit dem Hullabaloo -Chefredakteur, und ich hatte meine eigene Kolumne. Einen Doppelabschluss in Geschichte und Kommunikationswissenschaftenweiter war ich Praktikantin bei der Gambit und dann bei der Times-Picayune , wo die Schlussredakteure noch mehr Schreibfehler machen als ich. Oye, chica, muy mal .
    Und dann bekam ich den ersten bezahlten Job bei der Picayune , 2006, nach Katrina, als ein paar Leute aus dem Ressort Leben & Mehr ihre Sachen packten und in den Norden zogen. Mit fünfundzwanzigtausend Dollar im Jahr kann ich mir in einer der ärmsten und gefährlichsten Städte des Landes die Hälfte einer kleinen Wohnung im oberen Stockwerk eines alten Hauses in Mid-City leisten. Nichts in dieser Wohnung ist wertvoll – wozu auch? Man kann davon ausgehen, dass eingebrochen wird. Zwei Mal bin ich schon ausgeraubt worden, bin spät nach Hause gekommen, und alles war auf den Kopf gestellt: Möbel umgekippt, Schubladen aufgerissen, Klamotten halb herausgezerrt. Man gewöhnt sich an solche Übergriffe. Ich habe einen männlichen Mitbewohner und meine Gebete.
    In New Orleans gab es keine kubanische Community, die diesen Namen verdient hätte, also habe ich mir auf Mamás Erinnerungen und Rezepte und auf die Bücher, die ich mir aus der Bibliothek holte, meinen eigenen Reim gemacht. Mein altár , mit seinen kleinen Diet-Coke- und Rum-Untersetzern, beherbergt ein Foto von meiner Mutter, ein Bild der kubanischen Schutzpatronin – der Jungfrau der Wohltätigkeit von Cobre – und meine kleine Statue von Oshun, der Göttin der bedingungslosen Liebe, alles erleuchtet von einer Kerze mit einem Bild der mexikanischen Jungfrau Maria von Guadalupe, der einzigen Jungfrau Maria, die die Voodoo- und Devotionalienhändler hier anbieten. Ich habe Bananenstauden in helle Töpfe gepflanzt; sie stehen die ganze Treppe hinauf und auf dem Balkon und lassen in der feuchten Hitze Louisianas ihre fächerförmigen grünen Blätter hängen wie brave Hunde die Schlappohren. Von dem Haken, an dem mein Rosenkranz hängt, habe ich dunkelrote, grüne und goldene Mardi-Gras-Ketten gespannt, die Plastikperlen
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