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Toedlicher Hinterhalt

Toedlicher Hinterhalt

Titel: Toedlicher Hinterhalt
Autoren: Suzanne Brockmann
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klargekommen.«
    Mit allerletzter Kraft zog er sich die Pyjamahose über die Hüften. So lag er nun mit gut bedecktem Hintern auf dem kalten Fliesenboden, keuchte vor Anstrengung und fragte sich, ob der Herr es wohl durchschaute, wenn er log.
    Dr. Kelly Ashton lief die Zeit davon.
    Sie parkte ihren Kleinwagen in der Auffahrt ihres Vaters neben dessen gefühlt vierhundert Jahre altem, aber noch immer makellosem Buick-Kombi und stellte den Motor ab. Für einen Moment blieb sie im Auto sitzen, den Kopf auf die Unterarme am Lenkrad gelegt.
    Was sie da machte, war dämlich. Sie war dämlich. Dass sie versuchte, ihre Kinderarztpraxis in Boston aufrechtzuerhalten, während sie hier draußen, eine Stunde nördlich der Stadt, im Haus ihres Vaters in Baldwin’s Bridge lebte, stellte den Beweis dafür dar. Sie sollte das Harvard-Diplom zurückgeben. Denn ganz offensichtlich hatte man es ihr irrtümlicherweise verliehen. Sie war viel zu dämlich, verdiente es nicht.
    Und seit ihr Vater ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass er sie nicht da haben wollte, war die Sache doppelt so dämlich.
    Er brauchte ihre Hilfe nicht. Lieber würde er allein sterben.
    Kelly öffnete die Fahrertür und schnappte sich die Tüte aus der Apotheke sowie die Tasche mit den Lebensmitteln, die sie auf dem Nachhauseweg im Supermarkt besorgt hatte. Eigentlich wäre es besser gewesen, den Tag über in Baldwin’s Bridge zu bleiben, doch sie war bereits um vier Uhr dreißig aufgestanden, um noch vor dem Berufsverkehr nach Boston zu fahren und Papierkram zu erledigen. Ihr neuer Terminplan ließ ihr kaum noch Zeit zu denken, geschweige denn Büroarbeit zu erledigen, und so war es ihr an diesem Morgen gerade einmal gelungen, eine Schneise in die Aktenberge auf ihrem Schreibtisch zu schla-
gen.
    Davon einmal abgesehen hatte sie die Hoffnung gehabt, die Testergebnisse von Betsy McKenna würden gleich als Erstes am Morgen hereinkommen.
    Kelly vermutete, dass die zerbrechlich wirkende Sechsjährige an Leukämie litt. Und falls das stimmte, wollte sie diejenige sein, die es Betsys Eltern mitteilte, mit ihnen über Behandlungsmethoden sprach und sie dem Onkologen vorstellte.
    Um neun Uhr hatte Kelly jedoch im Labor angerufen und erfahren, dass die Blutprobe des Mädchens in einem Transporter gewesen war, der bei einem Unfall einen Totalschaden erlitten hatte. Demnach mussten alle Proben erneut entnommen werden und sämtliche Patienten – Betsy eingeschlossen – dafür noch einmal in der Praxis erscheinen. Die Ergebnisse würde man Kelly so schnell wie möglich zukommen lassen. Am nächsten Morgen, das hatte man ihr zumindest versprochen. Vorausgesetzt natürlich, dass das Labor noch an diesem Tag eine neue Probe erhielt.
    An diesem Punkt hatte sie die ganze Angelegenheit ihrer fähigen Arzthelferin Pat Geary übergeben, den Papierkram liegen lassen und war wieder nach Baldwin’s Bridge herausgefahren, um in der Nähe ihres Vaters zu sein.
    Der wollte allerdings nur von ihr allein gelassen werden.
    Vermutlich würde sie den restlichen Tag also damit verbringen, durch die Stadt zu laufen und Botengänge zu erledigen, denn das war die einzige Art und Weise, wie sie ihm zu zeigen vermochte, dass sie ihn liebte: Indem sie sich pflichtbewusst und gehorsam verhielt. Und indem sie ihm aus dem Weg ging.
    Mit dem Po stieß sie die Fahrertür zu.
    Er war schon immer ein selbstsüchtiger Mistkerl gewesen. Was hatte er sich überhaupt dabei gedacht, in einem so verdammt hohen Alter noch ein Kind zu zeugen? Obwohl, sie kannte ihn nur alt – alt, zynisch und noch dazu abgestumpft und sarkastisch.
    Und Kelly konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter Tina mehr als nur ein junger Körper und ein hübsches Gesicht für ihn gewesen war. Aber sie wusste, was er ihr bedeutet hatte. Charles Ashton war ein eleganter, attraktiver, scheinbar kultivierter und sehr, sehr wohlhabender Mann. Selbst heute, mit achtzig Jahren, sah er noch bemerkenswert gut aus. Er besaß immer noch dichtes Haar, das nun allerdings nicht mehr goldblond, sondern schlohweiß war. Seine Augen bestachen durch ein tiefes Blau, obwohl sie eigentlich glasig und gerötet hätten sein müssen, wenn man bedachte, wie viele Liter Alkohol er über die Jahre konsumiert hatte.
    Nur seine Seele war hässlich und verdorben.
    Erst jetzt, da er starb, hatte er aufgehört zu trinken. Aber nicht etwa, weil er nüchtern bleiben wollte, sondern weil es ihm Schwierigkeiten bereitete, überhaupt etwas zu essen
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