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Toedlicher Hinterhalt

Toedlicher Hinterhalt

Titel: Toedlicher Hinterhalt
Autoren: Suzanne Brockmann
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Ausdruck. Dabei musste er unweigerlich an entweichende Gase denken, so als ob sterben ein letzter riesengroßer Furz wäre.
    Natürlich hatte ihn der altkluge Jungspund mit dem Medizinstudium gewarnt, er könne mit seiner Einschätzung auch falschliegen, der Moment der Wahrheit würde möglicherweise viel früher eintreten als erwartet.
    Wie zum Beispiel an diesem Morgen.
    Dabei hatte Charles keine Angst vor dem Sterben. Nicht mehr zumindest.
    Na ja, nein, stopp noch einmal … Er hatte Angst, zu sterben – und zwar genau dort auf dem Badezimmerfußboden. So etwas hing einem ewig nach.
    »Erinnern Sie sich noch an Charles Ashton?«, würde jemand fragen. »Ja, klar, Ashton«, käme die Antwort. »Der ist in seinem Badezimmer abgenippelt, und sein fetter, nackter Arsch hing ihm aus der Hose.«
    All seine Spenden an gemeinnützige Organisationen und sein wohltätiges Handeln wären mit einem Mal vergessen. Vergessen wäre die Tatsache , dass er dem Krankenhaus von Baldwin’s Bridge Geld für eine Kinderstation gestiftet hatte, zum Andenken an seinen Sohn, der an einem Blinddarmdurchbruch gestorben war, und an einen französischen Jungen, den die Nazis umgebracht hatten – dabei war er dem Kleinen nie begegnet. Vergessen wäre der Krieg, den zu gewinnen er beigetragen hatte. Vergessen wären die Treuhandfonds, die er angelegt hatte, damit jedes Jahr drei vielversprechende Schüler aus Baldwin’s Bridge auf das College ihrer Wahl gehen konnten.
    Alles wäre vergessen, bis auf sein fetter nackter Arsch, wenn er mausetot auf dem Badezimmerfußboden liegen bleiben
würde.
    Tot …
    Das war ein so kalt klingendes Wort.
    Charles hatte schon bei seinem ersten Arztbesuch mit der Nachricht gerechnet, noch bevor die ganze Palette von Tests gemacht wurde.
    »Wenn man so alt ist und der Arzt so jung, dass du ihn anguckst und weißt, dein letztes Mal Sex liegt länger zurück als seine Geburt, dann hat er mit verdammt hoher Wahrscheinlichkeit keine guten Nachrichten für dich«, hatte er Joe mürrisch zugebrummt, als sie nach Hause gefahren waren.
    Sein alter Freund hatte nicht viel darauf erwidert, aber er war auch noch nie ein großer Redner gewesen. Der junge Joe Paoletti – sechsundsiebzig Jahre alt, Charles dagegen schon stolze achtzig – hatte ihn bloß lange angesehen, als sie an einer roten Ampel halten mussten.
    Und Charles hatte daraufhin wohlweislich die Klappe gehalten. Es war nicht sonderlich rücksichtsvoll gewesen, so etwas zu sagen, schließlich hatte Joe seit 1944 keine sexuelle Beziehung mehr gehabt. Der verrückte Mistkerl. Dabei war er ein Herzensbrecher mit dem Gesicht eines Leinwandhelden gewesen, der für jede Nacht in der Woche eine andere Frau hätte haben können. Doch seit sie beide aus dem Krieg nach Baldwin’s Bridge zurückgekehrt waren, hatte er wie ein Mönch gelebt.
    Der Krieg. Der gegen die Nazis. Zur Hölle noch eins, aye,
aye.
    Joe und er waren sich ausgerechnet in Frankreich begegnet. Kurz nach der Normandie, der Hölle auf Erden. Schon damals hatte Joe nicht viele Worte verloren.
    Zwischen ihnen entstand eine Art Freundschaft, wie sie sich nur im Krieg ausprägen kann. Es war wie aus dem Geschichtsbuch. Zwei Männer mit vollkommen unterschiedlichen Backgrounds – einer von ihnen der arme Sohn eines hart arbeitenden italienischen Einwanderers aus New York, der andere der reiche Sprössling einer wohlhabenden, alteingesessenen Bostoner Familie, welche die Sommer entspannt in der kühlen Meeresbrise im Küstenort Baldwin’s Bridge im Norden von Massachusetts verbrachte. Sie hatten zusammen gegen Nazi-Deutschland gekämpft und ihre Beziehung war zu etwas Beständigem geworden, zusammengeschweißt durch Winston Churchills ganz eigenes Rezept für unzerstörbaren Muschelbeton, jene Mischung aus Kalk, Sand, Wasser und zerstoßenen Muschelschalen, aus der an der Ostküste einst Häuser gebaut worden waren: Blut, Schweiß und Tränen.
    Tränen.
    Joe hatte geweint, als Charles vom Arzt das K-Wort mitgeteilt worden war. Er hatte versucht, es zu verbergen, doch Charles war es nicht entgangen.
    Nach fast sechzig Jahren enger Freundschaft wusste man, wenn der andere litt – auch wenn man es abstritt und manchmal so tat, als wäre der andere nur der Gärtner, jemand, den man als Hilfskraft angestellt hatte, oder auch bloß der blöde Penner, der einem nach dem Krieg nach Hause gefolgt war.
    »Du hättest ihn zuerst zu dir holen sollen«, schimpfte Charles nun mit Gott. » Ich wäre damit
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