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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus
Autoren: Øystein Wiik
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einzig Ärgerliche war, dass Medina auf dem Höhepunkt seiner Karriere sterben durfte, wodurch dieser pathetische, verfickte Hurenbock womöglich zur Legende wurde.
    Aber die vielen unschuldigen Menschen, die in diesem Flammeninferno ums Leben gekommen waren? Zu Puccinis Musik. Grauenvoll! Doch das war schließlich nicht seine Schuld! Er hatte das Ganze bis ins kleinste Detail geplant, die Vorbereitungen hatten Monate gedauert. Alle Eventualitäten hatte er in Betracht gezogen und den Mord an Medina mit chirurgischer Präzision ausgetüftelt. Aber ein Plan läuft nie nach Plan . Die Beleuchtung hatte er nur ausgeschaltet, um ungesehen aus der Oper zu entwischen. Wer konnte ahnen, dass das Schicksal ihm einen solch makabren Streich spielen würde. Wie viele Tote es wohl gab?
    Sicher würden die ganze Nacht Sondersendungen laufen, die ihm diese Frage beantworten konnten.
    Er ging schneller. Der Wind kroch durch den dünnen Stoff seiner eleganten Smokinghose aus Loro-Piana-Wolle. Er zog die Jacke fester um sich. Man konnte ihn für einen gut aussehenden jungen Mann aus den noblen Wohnvierteln im Westen halten, der von einem Fest zurückkam, und nicht für jemanden, der gerade ein Riesenchaos und eine Tragödie in Norwegens neuem Kultursalon verursacht hatte.
    Das GPS seines Handys zeigte ihm, dass er noch einen weiten Weg vor sich hatte. Links von ihm lag der Westfriedhof. Durch die tief hängenden Tannenzweige sah er vereinzelte Grablichter zwischen den Grabsteinen leuchten. Sein Atem ging schwerer. Hier wird in den nächsten Tagen bestimmt einiges los sein, dachte er in einem Anflug von schwarzem Humor.
    An der Ampelkreuzung vor der Einfahrt zum Krematorium West half er einer älteren Dame über den Sørkedalsveien und verschaffte sich so einen Augenblick Linderung. Vermutlich bedankte sie sich überschwänglich bei ihm, doch er hastete bereits weiter. Ohnehin verstand er nicht, was sie sagte, aber ihr Blick gab ihm zu verstehen, dass sie ihn für einen Engel hielt.
    Blaues Licht fiel aus den Fenstern der Häuser, an denen er vorbeikam. Die Tragödie aus dem Opernhaus wurde von allen Sendern live übertragen. Ein Schmerz wuchs in seiner Brust, und er sehnte sich danach, eine Tür hinter sich zuzumachen und einen Schutzschild zwischen sich und die Welt zu schieben. Distanz linderte. Täglich starben Tausende von Menschen durch tragische Unfälle, aber meist waren all diese Tragödien so weit entfernt, dass die Zuschauer ihren Zahnschmerzen, Steuerschulden und Parksünden mehr Gewicht einräumten. Erreichten einen die Schmerzensschreie nicht direkt, war das alles nicht mehr als ein stummes, vom Schicksal choreographiertes Ballett.
    Dalsveien 75, er war da. Die Tür fiel gerade hinter ihm ins Schloss, als sein Handy klingelte.
    »Bist du in der Wohnung?«
    »Soeben reingekommen.«
    »Du solltest dir die Nachrichten anschauen.«
    »Okay.«
    Das Gespräch war beendet. Rudi Maier fuhr seinen Laptop hoch und loggte sich ins Netz ein.
     

Victor Kamarov
    Als die Kugel James Medinas Hals traf, spürte er keinen Schmerz. Eher fühlte es sich an, als hätte ihm jemand die Luft und den Ton abgedreht und seinen Körper in Watte gepackt. Er hörte nichts, aber jede Sekunde, die verging, erschien ihm wie von einer Lupe vergrößert. Die Sekunden entfalteten sich zu weitläufigen Landschaften, sonnenreif und angefüllt mit gelebtem Leben. Als er fiel, schoben sich Bruchstücke seiner Vergangenheit in das Blickfeld der Lupe.
    Er war wieder in Wien. 1987. Europa strotzte vor Optimismus. Die Welt hatte ein neues Mantra: Glasnost. Etwas Gutes lag in der Luft, und eine junge, hoffnungsfrohe Welt feierte den Frühling. Bei strahlendem Sonnenschein war er vorbei am Café Landtmann zu seiner Wohnung in der Bennogasse gelaufen. Er war ein junger Sänger ohne Engagement und ohne nennenswertes Selbstvertrauen, leicht untersetzt, wie die meisten Tenöre, und mit einer etwas linkischen Ausstrahlung. Er wusste weder, wie man sich im eleganten Wien verhielt, noch welche Wirkung seine Stimme auf seine Mitmenschen hatte. Sein Gesangslehrer hatte ihn, den einfachen Jungen aus El Paso in Texas in die Musikmetropole geschickt, damit er dort eine Karriere als Opernsänger mache.
    Einem bloßen Impuls folgend, machte James kehrt und ging zurück zum Café Landtmann. Draußen vor dem Café standen Tische und luden dazu ein, sich eine Tasse Kaffee zu genehmigen und Zeitung zu lesen. Bei dem herrlichen Sonnenschein waren natürlich alle Plätze besetzt,
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