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Toedliche Luegen

Toedliche Luegen

Titel: Toedliche Luegen
Autoren: Hansi Hartwig
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er sagte, klang absolut vernünftig, wenngleich seine Worte sie nicht völlig überzeugten. Denn es konnte hundert Gründe dafür geben, in die Rolle eines anderen zu schlüpfen! Möglicherweise hatte er einen etwas makabren Sinn für Humor. Oder er vertrieb sich seine Langeweile mit dem Erfinden irgendwelcher Spielchen und testete sie gerade hier und jetzt mit ihr als Versuchskarnickel. Vielleicht war’s eine Wette, wer am schnellsten eine Frau übers Ohr haut.
    Oder er war tatsächlich der Mädchenmörder, der sich als Krösus tarnte und ihr mit tollen Klamotten, französischem Charme und erlesenen Speisen erst den Kopf verdrehte, um sich anschließend ihren Hals vorzunehmen.
    „Ihre Mutter hat es mir gesagt.“
    Nun … t ja, derart einfach ist das also mitunter, gab sich Beate schließlich geschlagen und spürte, wie ihr die Luft ausging.
    „Trotzdem hat sie mich gebeten, sie niemals wiederzusehen.“
    Witzbold! Warum wohl?
    „Immerhin war sie zu diesem Zeitpunkt bereits Ehefrau und die Mutter meiner beiden Brüder“, sah sich Beate zu einer Erklärung veranlasst. Sollte er das vergessen haben?
    „Euch nie wieder sehen! Was sie verlangte, war grausamer als die schlimmste Folter! Wie hätte ich euch aufgeben können? Beate, das konnte ich nicht! Deshalb fuhr ich nach Deutschland, all die Jahre, wieder und wieder, und habe dich aus der Ferne beobachtet, einen Augenblick nur, einen kurzen Moment, den ich die folgenden Monate als bittersüße Erinnerung in mir bewahren musste.“ Der Mund des Franzosen verzog sich schmerzlich. „Ich konnte nicht anders, musste es einfach tun.“
    „Aber warum jetzt? Wieso tauchen Sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt auf, um mir davon zu erzählen?“
    „ Inzwischen bist du alt genug, um Entscheidungen für dich selbst zu treffen. Du gehst deine eigenen Wege, fühlst dich nicht sehr wohl in deiner Familie. Haben sie dich spüren lassen, dass du nicht willkommen warst? Nicht zu ihnen gehörst?“
    „Nein! Um Gottes willen, so ist es ganz und gar nicht!“ Empörung machte sich auf ihrem Gesicht breit und färbte ihre Wangen signalrot. „Wie kommen Sie auf solche Ideen? Ich hatte eine wirklich glückliche Kindheit.“
    Allerdings erst, musste sie der Ehrlichkeit halber einschränken, nachdem sie ihre Freundinnen im Schulinternat kennengelernt hatte. Tatsächlich hatte sie sich zeit ihres Lebens so sehr bemüht, die Zuneigung ihrer Eltern und der beiden Brüder zu gewinnen, brav zu sein und sich standesgemäß zu benehmen – doch vergebens. Nie hatte sie es geschafft, ihren hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Sie war nicht hübsch, ja nicht mal präsentabel, ihre schulischen Leistungen konnte man nicht anders als mittelmäßig bezeichnen und wenn sie ihre Familie zu offiziellen Anlässen begleiten musste, äußerte sie grundsätzlich das Falsche, stolperte über ihre eigenen Füße oder schüttete Rotwein auf die weiße Robe einer Professorengattin. Bis man sie enerviert in ein Internat schickte, um eine Entschuldigung dafür zu haben, dass sie künftig bei derartigen Festivitäten mit Abwesenheit glänzte. (Ihr Fehlen fiel ohnehin nur deshalb auf, weil man sich nach einem neuen Opfer umsehen musste, über dessen Missgeschicke man sich amüsieren konnte.)
    Schon vor langer Zeit hatte etwas tief in ihrem Innern aufgegeben. Ihre Familie hatte sie nie geliebt und würde sie auch nie lieben. Der Gedanke, dass es niemandem wirklich etwas ausgemacht hatte, als sie eines Tages einfach aufgestanden war, das Haus verlassen hatte und seitdem nie wiedergekommen war, besaß etwas Vernichtendes. Die Verzweiflung, die sie damals übermannt hatte, war längst einem Gefühl stummer Resignation gewichen.
    Erneut hing betretenes Schweigen zwischen ihnen, das so weit anwuchs, bis es beinahe lebendig war und Beate in Versuchung brachte, es zu bitten, sich zu ihnen zu setzen.
    Schroff stieß sie hervor: „Und was soll ich jetzt dazu sagen? Was stellen Sie sich vor, was ich tun werde? Ich meine, es ist nicht gerade einfach, plötzlich mit zwei Vätern konfrontiert zu werden. Mal angenommen, ich glaube Ihnen Ihr Märchen, was soll ich mit diesem Wissen um meine fragwürdige Herkunft anfangen? Macht es einen Unterschied, statt eines Vaters, zu dem ich keine Beziehung habe, gleich zwei von dieser Sorte mein Eigen zu nennen?“
    Mit einer zärtlichen Geste griff Pierre Germeaux über den Tisch nach Beates Hand. Er hatte schmale, feingliedrige Hände, die unübersehbar in den Genuss regelmäßiger
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