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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit
Autoren: Denis Marquet
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Gesetz zufolge hätte das Mädchen sterben müssen!«
    Mulligan verstummte und sah sie eindringlich an. Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten.
    »Und wie lautete das Urteil des Richters?«, fragte sie.
    »Freispruch. Der Kerl schlug erneut zu, aber es mussten erst zwei weitere Frauen sterben, ehe er ein für alle Mal hinter Gitter kam.«
    Ann sprang auf.
    »Sie zwingen mich zu einer falschen Aussage vor einem Justizbeamten, und dann kommt die klassische Story vom desillusionierten Cop, dessen Jugendideale an der traurigen Realität zerbrochen sind. Aber ich …«
    »Sie kennen die Polizeiarbeit nur aus Büchern, und Ihre Meinung ist mir gleichgültig. Mit Ihren Methoden hätte ich den Mistkerl heute nicht festnehmen können, weil mir kein Richter einen Durchsuchungsbefehl ausgestellt hätte.«
    »Ich werde nie so werden wie Sie.«
    »Daran, meine Kleine, hege ich keinen Zweifel. Wir gehören nicht derselben Welt an. Wissen Sie übrigens, wie der Anwalt hieß, von dem ich gesprochen habe?«
    Ann zuckte zusammen. Mulligans Lächeln entblößte seine Eckzähne.
    »So ein Zufall, was? Er hatte denselben Namen wie Sie.«
    Ann zerquetschte wütend eine Schabe auf dem Küchenboden, entdeckte zwei weitere, die unter den Spülstein flüchteten, riss die Schränke auf der Suche nach einem Insektenvernichtungsspray auf, fand es schließlich im Schlafzimmerschrank und stellte fest, dass die Dose leer war. Sie schleuderte sie an die Wand und ließ sich auf ihr Bett fallen.
    Sie hatte eine Wohnung in einem alten, fast baufälligen Stadthaus in der 88th Street gemietet, einen Block von der Amsterdam Avenue entfernt. Vierter Stock ohne Aufzug. Als Berufsanfängerin verdiente sie knapp fünfunddreißigtausend Dollar im Jahr, bezahlten Urlaub und Nachtschichten eingeschlossen. Doch abzüglich aller Steuern und Abgaben würde ihr nicht genug bleiben, um die zwanzigtausend Dollar jährlich zu bezahlen, die ihre Vermieterin verlangte – selbst wenn sie sich von Konserven ernährte und Secondhand-Klamotten trug. Also unterstützte sie ihr Vater. Sie hatte seinen triumphierenden Gesichtsausdruck nicht vergessen, als er ihr dieses Angebot gemacht hatte: Er wusste, dass sie nicht ablehnen konnte. Sie saß in der Falle. Wie am Nachmittag bei Mulligan. Dieser hatte Gemeinsamkeiten mit ihrem Vater: Beide warteten nur darauf, dass sie kündigen würde. Oder aufgab. Dass sie zu Kreuze kroch. Dass der Anspruch des unerfahrenen, verwöhnten Kindes an der harten Realität zerbrach. Beide waren der Überzeugung, dass Ann, da sie eine Lawrence war, nichts bei der Polizei verloren hatte.
    In ihren Augen brannten Tränen, die sie mit einer heftigen Geste fortwischte. Sie musste sich zusammenreißen. Sie legte sich hin, schloss die Augen, konzentrierte sich auf ihre Atmung und versuchte sich ihre Lieblingspflanze vorzustellen – die Sonnenblume. Doch stattdessen erschien das Gesicht von Jeff Mulligan, der sie sarkastisch musterte.
    Das Klingeln des Telefons schreckte sie auf.
    »Frank Millar. Störe ich?«
    Sie war erstaunt, wie sehr dieser Anruf sie freute.
    »Nein, Frank, ganz und gar nicht.«
    »Wie war Ihr erster Tag als Detective?«
    »Super …«
    »Und Mulligan?«
    »Etwas sonderbar. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, ihn zähmen zu können.«
    »Viel Glück.«
    »Sie mögen ihn nicht.«
    »Niemand mag Mulligan. Man fürchtet oder braucht ihn.«
    »Und Sie?«
    »Wenn er die erste Nacht im Knast verbringt, lasse ich die Champagnerkorken knallen. Übrigens, wollen Sie nicht ein Gläschen mit mir trinken gehen?«
    Sie zögerte kurz. Nach Sergeant Mulligans widerwärtigem Verhalten tat ihr die Herzlichkeit des jungen Kollegen gut. Aber sie war müde.
    »Das würde ich gerne tun, aber ich fange morgen früh an …«
    »Verstehe. Dann ein andermal. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Frank.«
    »Ach, übrigens …«
    …
    »Haben Sie etwas mit dem Anwalt Robert Lawrence zu tun?«
    Ann schloss die Augen, eine maßlose Bitterkeit überkam sie. Wie gerne hätte sie ihre Arbeit bei der Polizei völlig anonym angetreten, wie jeder andere auch. Doch sie trug einen Namen, der sie, ohne dass man sie kannte, mit verabscheuungswürdigen Praktiken in Zusammenhang brachte. Eine Vergangenheit, die nicht die ihre war.
    »Er ist mein Vater.«
    Sie legte auf.
    Die nächsten drei Tage verbrachte Ann in einem zivilen Streifenwagen mit der Überwachung eines Hauseingangs, an dem sich absolut nichts Interessantes ereignete. Hier sollte der Anführer einer der
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