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Tödliche Ernte

Tödliche Ernte

Titel: Tödliche Ernte
Autoren: Vicky Stiefel
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Zeremonie abzuhalten.
    Ich sah die Pisarros an Bord kommen. Sie wichen meinem Blick aus. Hinter ihnen kamen Danny Brown, ohne Inez, und dann Tom Fogarty und Dixie. Sie kamen zu mir, ich stellte sie einander vor und wir plauderten ein bisschen. Es kamen noch andere, viele andere, die ich nicht kannte. Als alle an Bord waren, löste die Mannschaft die Leinen und wir tuckerten aus dem Hafen, während die Segel entrollt wurden.
    Eine Stunde später hatten wir eine Insel umrundet, die uns vor dem Wind schützte, und dort hielten wir die Zeremonie ab. Zuerst sprach ein Pastor, dann ein Rabbi, anschließend ein Priester. Ich sah, wie Mrs Maekawa ein Gebet sprach.
    Als alle Gebete gesprochen waren, stellten wir uns mit tränenüberströmten Gesichtern in einer Reihe auf. Ein Dudelsackpfeifer in Schottenrock und Daunenjacke begann, die ersten Noten von »Amazing Grace« zu spielen. Haywood öffnete den Deckel der Schatulle, und jeder von uns nahm eine Handvoll Asche und Knochen, verstreute sie über dem Meer und sprach einen Abschiedsgruß.
    In der Schatulle lagen die eingeäscherten Überreste von Marys Opfern. Für einige bedeutete das den Torso, die Hände oder die Augen einer Angehörigen. Außerdem befanden sich die Überreste von Marys zusammengeschusterter Frau darunter. Als ich hineingriff und die Asche verteilte, nahm ich Abschied von Reen, Della, Patricia, Moira, Elizabeth und anderen. Ich entschuldigte mich bei Inez, die von alldem nichts wusste, und ich gedachte der nicht identifizierten Frau, deren Arme Teil der Kreatur geworden waren, sowie all der Frauen, deren Identität ein Geheimnis geblieben war. Und ich sagte auch Chesa noch einmal Lebewohl, denn sie war ja auch ein Teil von alldem. Und auch Arlo und schließlich Roland Blessing. Als ich beiseitetrat, versuchte ich, fest daran zu glauben, dass sie alle jetzt an einem besseren Ort waren.
    Ich ging nach achtern. Kranak gesellte sich zu mir, genau wie Jake und Lauria, Veda und Gert und der Rest unseres Kreises. Ich holte die Urne, die ich trug, aus der Verpackung, und wir nahmen Abschied von Mrs Cheadle und übergaben auch sie dem Wind und der See.
    Als ich mich abwandte, stand Kranak neben mir. Er hakte sich bei mir unter und ging mit mir nach steuerbord zur Reling. Er lehnte sich mit den Unterarmen darauf und verschränkte die Hände.
    »Du hast mir verziehen«, sagte ich.
    »Mach noch einmal so was wie diese Emma-Scheiße, und ich knall dir eine.«
    »Geht klar.« Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und wollte mich wieder zu den anderen umdrehen.
    Er hielt mich am Unterarm zurück. »Warte.«
    »Ist noch was?«, sagte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin genervt.«
    »Von?«
    »Sie hat mich auf Blessing angesetzt, Tal. Und das nervt mich.«
    »An dem Abend nach dem Kurs, meinst du?«, sagte ich und wusste, dass mit »sie« Mary gemeint war.
    »Erinnerst du dich noch, wie ich gesagt habe, ich hätte mein Notizbuch vergessen? Es war gar nicht meins. Sie hat mich in den Raum zurückgeschickt. Sie hatte ihr Notizbuch vergessen, nicht ich.«
    Also war es kein Zufall gewesen, sondern Mary. »Sie muss ihn gesehen haben.«
    »Und sich Sorgen gemacht haben«, meinte Kranak. »Vielleicht dachte sie, er tut dir was an. Also hat sie das Notizbuch liegen gelassen. Und mich anschließend geschickt, um es zu holen. Sie hat dich beschützt.«
    »Nein«, sagte ich. »Sie hat eher geglaubt, Blessing würde alles sagen. Sein Gesicht, als er dich angesehen hat – blanke Angst. Aber er hat gar nicht dich angesehen, sondern Mary.«
    Ich hatte nur Jarvis erzählt, dass Mary auf mein Herz aus gewesen war. Ich hatte es nicht noch einmal erzählen wollen. Jetzt aber sah ich mich veranlasst, es Kranak zu sagen.
    »Also hat sie auch dich verfolgt«, stellte er fest. »Wie lange wohl? Sie hat Blessing dazu gebracht, dir nachzustellen.«
    Ich nickte. »Sie hat die Fäden gezogen. Für sie war es leicht, in mein Haus zu kommen. Sie hat einfach Kopien von meinen Schlüsseln gemacht, die ich bei der Arbeit immer im Schreibtisch lasse. Ich erinnere mich noch an den Tag, als sie Jake und mir ›zufällig‹ im Museum über den Weg gelaufen ist. Wie sie vom Kummer anderer gelebt hat. Welcher Ort ist da besser geeignet als der Kummerladen?«
    Ich musste daran denken, wie sehr ich meinen Dad vermisste. Wie ich jeden Tag an ihn dachte. Wie sehr ich mich nach seiner Liebe sehnte. Und dass ich ihn nicht gehen lassen konnte. Und doch hatte sich etwas in mir verändert, als ich erlebt hatte,
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