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Nachhaltig tot (German Edition)

Nachhaltig tot (German Edition)

Titel: Nachhaltig tot (German Edition)
Autoren: Klaus Brabänder , Karin Mayer
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GAS
    Klaus Brabänder
    Beatrice Bernstein rieb sich die Augen. Es war zwar erst acht Uhr am Abend, eine Zeit, zu der Journalisten den zweiten Wind bekommen, aber der Heuschnupfen machte sie fertig. Die Augen tränten, der Schädel brummte von den Niesattacken, und das Medikament, das ihr der Arzt verordnet hatte, machte sie müde, half aber nicht gegen die allergischen Symptome.
    Wie sie in diesem Zustand den Artikel über die Haushaltslage der Bundeshauptstadt bis zur Redaktionskonferenz am nächsten Morgen fertig bekommen sollte, war ihr ein Rätsel. In der hektischen Welt des Journalismus‘ war für Einzelschicksale der Mitarbeiter kein Platz. Was zählte, war die Auflage, sonst nichts. Darüber zu klagen, war müßig. Sie hatte sich diesen Job ausgesucht und vorher gewusst, wie das Spiel läuft.
    Beatrice konzentrierte sich mühevoll. Sie hatte gerade einen neuen Anlauf genommen, um wenigstens die einleitenden Erklärungen zu Papier zu bringen, als das Telefon klingelte. Insgeheim war sie froh über diese Störung, die sie für weitere Minuten von ihrer Pflicht abhielt.
    „Beatrice Bernstein“, meldete sie sich.
    „Sie sollten in Ihren Briefkasten schauen!“, sagte eine männliche Stimme.
    Knacken. Stille. Ende.
    „Hallo? Wer ist denn am Apparat?“
    Was soll das denn jetzt?, fragte sie sich, starrte auf den Hörer in ihrer Hand und schüttelte den Kopf.
    In der Redaktion kam es öfter vor, dass sich anonyme Anrufer meldeten. Meist waren es verwirrte Querköpfe oder feige Denunzianten. Aber der Mann, der gerade am Telefon gewesen war, hatte ihre private Festnetznummer gewählt, und die hatte aus ihrem beruflichen Umfeld niemand außer ihrem Redaktionsleiter Alfred Kronwitter.
    Freddie konnte es nicht gewesen sein, denn es war weder seine Stimme noch hatte er Sinn für derartigen Humor. Beatrices überschaubarer Freundeskreis kommunizierte nahezu ausnahmslos über das Mobilfunknetz. Oft genug schon hatte sich Beatrice die Frage gestellt, warum sie überhaupt einen Festnetzanschluss hatte.
    ‚Sie sollten in den Briefkasten schauen.‘ – Eine Briefbombe als Racheakt? Wofür? Möglich war alles, aber dann bräuchte niemand vorher anzurufen. Ein heimlicher Verehrer, der sich nicht traute, seine Botschaft persönlich zu überbringen? Unwahrscheinlich. Sie galt als unnahbar, und dieses Image pflegte sie konsequent. Sie brauchte keinen Mann und wollte auch keinen. Weder früher noch jetzt mit fünfunddreißig noch später! Wenn sie sich überhaupt zu jemandem hingezogen fühlte, dann zum eigenen Geschlecht, aber es war ihr noch kein passendes Wesen über den Weg gelaufen. Was also sollte in dem Briefkasten sein? Die einfachste Lösung war, nachzuschauen.
    Von außen betrachtet war an ihrem Briefkasten nichts Besonderes. Er hing in einer Reihe von zwanzig Kästen, war hässlich, zerkratzt und trug ein Namensschild. Beatrice steckte langsam den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Klappe vorsichtiger, als sie sich vorgenommen hatte. Im Inneren lag ein Briefumschlag, weiß, ohne Adresse und Absender. Mit angehaltenem Atem betrachtete sie den Umschlag, fühlte ihn nach verdächtigen Kanten ab. Schließlich siegte die Neugier, und Beatrice öffnete den Umschlag. Er enthielt einen Zettel, auf dem in Druckbuchstaben geschrieben stand:
    Rahnsdorfer Str. 62, Friedrichshagen
    Morgen 7.30 Uhr
    Zurück in ihrer Wohnung betrachtete Beatrice den Zettel minutenlang und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Im Internet suchte sie nach der angegebenen Adresse und fand heraus, dass es sich um ein Gebäude in einem kleinen Industriegebiet handelte. Ohne Zweifel war es eine Aufforderung, zum angegeben Zeitpunkt dorthin zu kommen.
    Angst hatte Beatrice nicht, dieses Gefühl gehörte nicht zu ihrem Standard, aber Freddie hatte sie mehrfach vor Alleingängen gewarnt und bei der letzten Verwarnung war er sogar laut geworden.
    „Beim nächsten Mal bist du draußen“, hatte er unmissverständlich erklärt, als er erfahren hatte, dass Beatrice ohne Rückendeckung im Fixermilieu recherchiert hatte. Wenn sie ihn jetzt nicht informieren würde, könnte ihr das später übel aufstoßen.
    Sie arbeitete gerne bei der Berliner Lupe, betrachtete das Blatt jedoch als Sprungbrett auf dem Weg nach oben. Einen Rauswurf konnte sie sich nicht leisten. Der Anruf des Fremden hatte ihre Lebensgeister geweckt, jetzt ging ihr die Arbeit an dem Artikel über den städtischen Haushalt schneller von der Hand.
    Zwischendurch versuchte sie mehrfach,
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