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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht
Autoren: T Hoag
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der in Chinatown lebte und fließend Mandarin sprach, war etwas Besonderes. Tyler war ein Unikum. Die Leute mochten ihn und gleichzeitig verwirrte er sie. Die Chens behandelten ihn wie eine Art goldenes Kind, das gesandt worden war, um ihnen Glück zu bringen.
    Trotzdem, die einzige richtige Familie, die die Damon-Brüder hatten, waren sie selbst. Und die Beziehung zu Tyler war die stärkste Bindung, die Jace jemals gekannt hatte. Sie war das, wofür er lebte, Motivation für alles, was er tat, sein einziges Ziel.
    Ich muss hier raus.
    Das Geräusch von Schritten auf Asphalt. Jace konnte nicht sagen, aus welcher Richtung es kam. Vom anderen Ende des Tunnels her? Von der Straße? Er machte sich so klein wie möglich, ein festes Bündel, das sich an die Hauswand presste, und zählte seine Herzschläge, während er wartete.
    Eine dunkle Gestalt erschien an der Ecke des Hauses zur Straße hin und blieb stehen, die Arme leicht vom Körper weggestreckt, die Bewegungen zögerlich, als sie sich zuerst in die eine Richtung drehte und dann in die andere. In der Dunkelheit war nicht mehr als die Silhouette eines Mannes zu erkennen. Er hatte kein Gesicht. Er hatte keine Hautfarbe.
    Jace legte die Hand auf seinen Bauch, auf den Umschlag, den er unter sein T-Shirt gesteckt hatte, um ihn zu schützen. In was für eine beschissene Sache hatte Lenny ihn da mit hineingezogen?
    Die dunkle Gestalt am Ende des Tunnels drehte sich um und ging in die gleiche Richtung davon, aus der sie gekommen war.
    Jace wartete und zählte stumm, bis er sicher war, dass der Verfolger nicht zurückkommen würde. Dann kroch er an der Wand entlang über Abfallhaufen, durch Pfützen und Glasscherben und spähte vorsichtig hinaus auf die Straße. Eine Mülltonne versperrte ihm die Sicht. Er konnte nur ein einzelnes Rücklicht sehen, das in einiger Entfernung wie ein bösartiges rotes Auge in der Dunkelheit glühte.
    Sein Fahrrad lag irgendwo hinter dem Wagen platt gewalzt auf dem Boden. Jace hoffte wider jedes bessere Wissen, dass der Rahmen nicht verzogen war, dass vielleicht nur ein Rad kaputt war. Das konnte er reparieren. Er konnte vieles reparieren. Aber keinen verzogenen Rahmen.
    Er konnte Mojo hören, wie er ihm erklärte, auf dem Fahrrad läge ein Fluch. Mojo, der große, knochige Jamaikaner mit den Dreadlocks, die ihm bis zum Hintern reichten, und der tiefschwarzen Sonnenbrille, wie sie Blinde trugen. Mojo war ungefähr dreißig, was uralt war für einen Kurier. Für manche war er ein Schamane. Er hätte eine ganze Menge über dieses Fahrrad zu sagen.
    Jace hatte das Ding sozusagen geerbt. Genauer gesagt hatte es niemand sonst anrühren wollen, als es zwei Jahre zuvor plötzlich zu haben gewesen war. Sein ehemaliger Besitzer, ein Typ, der sich King nannte und nachts als strippender Elvis auftrat, hatte beim Überholen die Kontrolle über das Rad verloren und war unter ein Müllauto geraten. Das Fahrrad hatte den Unfall heil überstanden. King nicht.
    Kuriere waren ein abergläubischer Haufen. King war während der Arbeit gestorben. Niemand wollte das Fahrrad von jemandem, der während der Arbeit gestorben war. Es stand eine Woche in der Zentrale im Hinterzimmer herum und wartete, dass einer von Kings nächsten Verwandten Anspruch darauf erhob, bis sich schließlich herausstellte, dass er keine nahen Verwandten hatte, jedenfalls keine, denen irgendetwas an ihm lag.
    Jace war nicht abergläubisch. Er glaubte, dass jeder für sein Glück selbst verantwortlich war. King war unter die Räder geraten, weil er die meiste Zeit auf Speed war und Situationen nicht gut einschätzen konnte. Jace glaubte an Voraussicht und Geschick. Er hatte einen Blick auf das Fahrrad geworfen und einen soliden Cannondale-Rahmen gesehen, zwei gute Reifen und einen gel-gepolsterten Sattel. Er hatte kürzere Lieferzeiten gesehen, die Möglichkeit, mehr Fahrten zu machen, mehr Geld zu verdienen. Er hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen, den Schrotthaufen, den er bis dahin gefahren hatte, für jeden, der ihn klauen wollte, an einen Verkaufsständer der LA Times gelehnt stehen lassen, und war auf dem Cannondale nach Hause gefah ren. Er hatte es auf den Namen Silberpfeil getauft.
    Der Motor des Wagens heulte auf, und das Rücklicht entfernte sich. Der Jäger fuhr nach Hause, dachte Jace, für ihn war Feierabend nach einem harten Arbeitstag, den er mit dem Versuch zugebracht hatte, Leute umzubringen. Ein kalter Schauer überlief ihn, wegen des Regens und vor Erleichterung. Als er
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