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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht
Autoren: T Hoag
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in den Bund seiner Radlerhose. Warm und trocken.
    Unter der blauen Neonschrift, die für SPIRITISTISCHE SITZUNGEN warb, stieg er auf sein Rad und begann in die Pedale zu treten, mit müden Beinen, schmerzendem Rücken und kalten Fingern, die keinen Halt an den nassen Lenkergriffen fanden. Sein Gewicht verlagerte sich von Pedal zu Pedal, das Fahrrad pendelte von einer Seite zu anderen, bis die Bewegung zur vorwärts treibenden Kraft wurde, während er an Geschwindigkeit zulegte. Die Schmerzen wichen allmählich dem vertrauten Taubheitsgefühl.
    Eine letzte Fahrt.
    Er würde den Papierkram bis zum nächsten Morgen liegen lassen. Diese Sendung ausliefern, nach Hause fahren und sich unter die heiße Dusche stellen. Er malte es sich aus: warmes Wasser, das auf seine Schultern prasselte, die Knoten in seinem Nacken löste, heißer Dampf, der den Gestank der Stadt aus seiner Nase vertrieb und seinen Lungen, die den ganzen Tag über Autoabgase eingesogen hatten, Linderung brachte. Er dachte an die scharfe, süßsaure Suppe von Madame Chen und an die sauberen Laken auf dem Futon, und er bemühte sich nach Kräften, den kalten Regen zu ignorieren, der ihm ins Gesicht schlug und die Ölschicht vom Asphalt der Straße wusch.
    Auf Autopilot gestellt fuhr er weiter, während er seine Gedanken schweifen ließ. An der Tankstelle vorbei, nach rechts. Zwei Blocks geradeaus, dann nach links. Die Nebenstraßen waren verlassen, finster. Niemand hielt sich um diese Zeit in diesem Teil der Stadt auf, wenn er nicht einen sehr guten Grund dafür hatte. Die Geschäfte in den heruntergekommenen Flachbauten – eine Glaserei, ein Laden für Klimaanlagen, ein Möbelrestaurator, eine Autowerkstatt – schlossen um sechs.
    Er hätte sich vielleicht Gedanken darüber gemacht, dass es eine merkwürdige Empfängeradresse für eine Sendung von einem Anwalt war, wenn es sich bei diesem Anwalt nicht um Lenny gehandelt hätte, und Lennys Klientel bestand nun mal aus Kriminellen, die es auf der Karriereleiter nicht besonders weit nach oben geschafft hatten.
    Im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung warf er einen Blick auf die Hausnummern. Es musste das erste Haus auf der rechten Seite nach der nächsten Kreuzung sein. Nur dass an der Stelle des ersten Hauses auf der rechten Seite nach der nächsten Kreuzung ein Loch gähnte.
    Jace fuhr daran vorbei, warf einen Blick auf die Nummer des Nachbarhauses, das abgesehen von der Notbeleuchtung über der Eingangstür dunkel dalag.
    Jace beschlich ein unbehagliches Gefühl, als würde ihm jemand mit dem Fingernagel über den Nacken kratzen. Er wendete und fuhr noch einmal langsam an dem unbebauten Grundstück vorbei.
    Scheinwerfer leuchteten auf und blendeten ihn eine Sekunde lang.
    Was für eine bescheuerte Lieferung war das denn? Drogen? Eine Geldübergabe? Was auch immer es war, Jace wollte nichts damit zu tun haben. Nur ein Idiot würde da reinfahren und um eine Unterschrift auf einer Empfangsbestätigung bitten.
    Wut überkam ihn. Und Angst. Man hatte ihn mitten in der Nacht zu einem verlassenen Grundstück geschickt. Zum Teufel damit. Zum Teufel mit Lenny Lowell. Er konnte seine Sendung nehmen und sie sich sonst wohin schieben.
    Jace stemmte sich in die Pedale, um zu verschwinden.
    Der Wagen schoss vorwärts, der Fahrer ließ den Motor wie ein sprungbereites Raubtier aufbrüllen, als er direkt auf ihn zukam.
    Für den Bruchteil einer Sekunde hielt Jace mitten in der Bewegung inne – unfähig, sich zu rühren. Dann trat er in die Pedale, seine Beine stampften wie Kolben auf und ab, die Reifen seines Fahrrads schlitterten über die nasse Straße. Wenn er geradeaus fuhr, würde ihn der Wagen auf die Motorhaube nehmen. Also riss er den Lenker stattdessen nach links herum. Das Hinterrad rutschte auf dem schmierigen Straßenbelag seitlich weg. Er stemmte sein linkes Bein auf den Boden, um den Sturz zu verhindern, und richtete das Rad wieder auf. Dann fuhr er direkt auf den Wagen zu.
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er nach rechts auswich, beinahe zu spät, und über den Gehweg zurück auf das unbebaute Grundstück fuhr, vorbei an dem Wagen – groß, schwarz, amerikanisches Fabrikat. Er hörte das Schaben von Metall auf Stein, als der Wagen über den Bordstein donnerte und hinten aufsetzte. Die Reifen quietschten auf dem nassen Pflaster, als er schlingernd in einem großen Bogen wendete.
    Jace fuhr so schnell er konnte den Weg neben dem Grundstück entlang und betete darum, dass es keine Sackgasse war.
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