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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht
Autoren: T Hoag
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das Gleichgewicht und schlug mit wild rudernden Armen und Beinen hart auf dem Pflaster auf. Die Pappröhren mit den Blaupausen flogen in hohem Bogen aus seiner Tasche und rollten über den Gehweg.
    Keine Zeit, um nachzusehen, ob er sich verletzt hatte oder sich Gedanken über Schmerzen zu machen.
    Er rappelte sich hoch und stolperte und taumelte weiter, während er gleichzeitig versuchte, die Pappröhren einzusammeln. Der Wachmann starrte ihn durch die Glasscheiben an. Ein grobknochiges, graues Gesicht, missmutig verzogen. Er drehte den Schlüssel im Schloss um und ging weg.
    »Hey!«, schrie Jace und trommelte gegen die Scheibe. »Hey, machen Sie auf!«
    Der Wachmann tat so, als würde er ihn nicht hören. Schwein. Es war eine Minute vor sechs, und der Kerl dachte an nichts anderes als daran, auf den Freeway zu kommen und nach Pomona oder ins Valley zu zuckeln oder in welchem langweiligen, beschissenen Vorort auch immer er sich jeden Abend verkroch. Wie käme er dazu, drei Minuten länger zu bleiben, um eine Sendung entgegenzunehmen? Die Macht wegzugehen war vermutlich die einzige, über die er in seinem armseligen Leben verfügte.
    »Arschloch!«, schrie Jace. Am liebsten hätte er gegen die Tür getreten, aber bei seinem Glück würde das bescheuerte Ding sicher zerbrechen, und er würde sich in einer Zelle wiederfinden. Wobei er ein bisschen Ruhe und drei Mahlzeiten am Tag durchaus hätte brauchen können. In Jace Damons Leben war Ruhe nicht vorgesehen.
    Die Pappröhren unter den Arm geklemmt, hob er sein Fahrrad auf und schwang sich in den Sattel. Die Einfahrt zur Tiefgarage des Gebäudes befand sich in der Seitenstraße. Vermutlich war das Gitter heruntergelassen, aber sobald ein Wagen herausfuhr, konnte er hineinschlüpfen. Wenn es einen Gott gab – was er außer in Zeiten größter Bedrängnis bezweifelte – , dann war noch jemand in dem Planungsbüro im siebzehnten Stock. Er hoffte auf die blonde Lori am Empfang, die immer gut gelaunt war und ihm ein Snickers aus ihrem Vorrat in der untersten Schreibtischschublade schenken würde. Er hatte seit dem Frühstück – einem Bagel vom Vortag und einem geklauten Powerriegel – nichts mehr gegessen.
    Er postierte sich rechts neben der Einfahrt zur Tiefgarage und drückte sich gerade so weit auf die Seite, dass ihn jemand, der aus der Tiefgarage kam, nicht sehen konnte. Er hatte bereits vor langer Zeit gelernt, sich unsichtbar zu machen, sich im Verborgenen zu halten, ständig auf der Hut zu sein. Strategien, um auf der Straße zu überleben.
    Aus seinem Funkgerät drang ein Geräusch wie vom Abreißen eines Klebebands. »Sechzehn? Bist du irgendwo da draußen? Zentrale an Jace. Zentrale an Jace. Hey, Lone Ranger, wo steckst du? Ich hab hier Probleme mit Knete.«
    Knete war Etas Bezeichnung für Kunde. Der Inhaber des Planungsbüros war auf der anderen Leitung und brüllte herum.
    »Ich bin im Aufzug«, sagte Jace. Er schaltete das Funkgerät ein paarmal an und aus. »Zentrale? Ich habe keinen Empfang mehr, Zentrale!«
    Das Gitter setzte sich rasselnd in Bewegung. Aus der Tiefgarage kam ein hässlicher, schleimgrüner Chrysler. Hinter dem Lenkrad saß der Wachmann. Jace zeigte ihm den Mittelfinger, während er an ihm vorbei in die Garage bog und sein Fahrrad über die Rampe nach unten rollen ließ.
    Der Koreaner an der Kasse warf Jace nur einen flüchtigen Blick zu, als er um die heruntergelassene Schranke schoss, die verhinderte, dass irgendwelche fremden Autos in die Tiefgarage fuhren. Jace steuerte den Aufzug an und sprang von seinem Fahrrad, als im gleichen Augenblick die Türen aufgingen und ein Grüppchen gut gekleideter Angestellter heraustrat, die ihren Bürozellen für diesen Tag entkommen waren. Eine blonde Frau, die einen helmartigen Pagenschnitt und einen Regenmantel mit Leopardenmuster trug, sah ihn an, als sei er ein Hundehaufen und presste ihre Designerhandtasche an die Brust, während sie an ihm vorbeiging.
    Jace grinste sie an. »Wie geht's?«
    Sie schnaubte und eilte davon. Leute, die Anzüge und Kostüme trugen und in Büros saßen, begegneten Fahrradkurieren für gewöhnlich mit Misstrauen. Sie waren Rebellen, Krieger der Straße, Außenseiter der Gesellschaft in merkwürdiger Aufmachung, die in die geregelte, ehrenwerte Geschäftswelt eindrangen. Die meisten Kuriere, die Jace kannte, waren von Kopf bis Fuß tätowiert und hatten mehr Piercings als ein Sieb Löcher. Sie liefen Reklame für ein Leben außerhalb geordneter Bahnen,
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