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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht
Autoren: T Hoag
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dar.
    Als Durchschnittsbürger konnte man sich überhaupt nicht vorstellen, dass irgendjemand fähig war, sie auf so brutale Weise zu ermorden, indem er sie zuerst erwürgte und anschließend mit einer Skulptur von der Größe einer Bowlingkugel auf ihr Gesicht einschlug. Lenny war kein Durchschnittsbürger. Er hatte all das schon tausendmal gehört und wusste nur zu gut, wozu Menschen fähig waren, wozu Eifersucht und Hass sie treiben konnten.
    In der Stadt kursierte das Gerücht, dass Tricia, der ständigen Seitensprünge ihres Mannes und der ewigen Auseinandersetzungen überdrüssig, kurz davor gestanden hatte, Rob Cole vor die Tür zu setzen. Cole hatte mit Starallüren, Dummheit und einem letztlich bescheidenen Talent seine Karriere verspielt. Er hatte sein ganzes Geld durchgebracht und dazu noch eine Menge von ihrem. Einen beträchtlichen Teil davon hatte er sich in die Nase gezogen. Ein weiterer beträchtlicher Teil war in Entzugskliniken geflossen – in Form von wohltätigen Spenden, wie sich herausstellte. Rob Cole besaß nicht genug Charakter, um sich selbst aus dem Sumpf herauszuziehen, und nicht genug Verstand, um seine Schwächen vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
    Der maßgeschneiderte Mandant für Leonard Lowell, dachte Lenny mit Bedauern. Er hätte sich einen Namen damit machen können, Rob Cole aus dieser Sache herauszupauken – einen Namen, der dann selbst den Leuten etwas gesagt hätte, die kein Vorstrafenregister hatten. Stattdessen würde Rob Cole Martin Gorman Kopfschmerzen bereiten. Lenny hatte ein paar andere Schäfchen ins Trockene zu bringen.
    Das Läuten der Türglocke verkündete, dass der Kurier da war. Als Lenny um seinen Schreibtisch herumging, warf er einen Blick auf die Prospekte, die ihm der Rotschopf aus dem Reisebüro im ersten Stock gegeben hatte, und fragte sich, ob er sie wohl dazu überreden könnte, ihn zu begleiten. Palmenstrand und eine heiße Braut. Paradiesisch.
    Jace drückte ein zweites Mal auf die Klingel, obwohl er sehen konnte, dass Lenny Lowell aus dem Büro in das dunkle Vorzimmer trat, in dem tagsüber seine Sekretärin saß – eine Frau mit strohblonden Haaren und einer Schmetterlingsbrille, die jeder nur »Doll« nannte. Lenny hatte etwas von einer Figur aus einem dieser alten Filme, in denen alle Männer Hüte und weit geschnittene Anzüge trugen und jeder rauchte und schnell redete.
    Jace war schon oft in Lennys Büro gewesen. Ein großer Teil der Kuriersendungen wurde von irgendwelchen Anwälten losgeschickt oder in Empfang genommen – sehr zum Missvergnügen der Kuriere. Anwälte waren bekannt für ihre Knauserigkeit, und man konnte es ihnen nie recht machen. Für ihre alljährliche Feier an Thanksgiving bastelten die Kuriere immer eine große Strohpuppe, die dem meistgehassten Anwalt des Jahres nachgebildet war. Sie stopften das Ding besonders fest aus, damit jeder die Chance hatte, mehrmals darauf einzudreschen.
    Jace spielte das Spiel mit, ohne zu verraten, dass er die Absicht hatte, eines Tages zur Kaste der Verachteten zu gehören. Er war in Verhältnissen aufgewachsen, in denen er die Erfahrung gemacht hatte, dass das Gesetz oft gegen die Menschen arbeitete – vor allem gegen Kinder. Er hatte vor, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden – seinem Leben eine andere Richtung zu geben und hoffentlich auch dem einiger anderer Menschen. Da er jedoch am College nur zwei Seminare pro Semester belegen konnte, wären die meisten seiner Kollegen vermutlich schon tot oder weggezogen, wenn er endlich das Examen ablegte. Falls jemals eine Strohpuppe für Jace gebastelt werden sollte, dann würden es Fremde sein, die so lange darauf einschlugen, bis die Füllung herausquoll.
    In der Zwischenzeit ließ er keine Gelegenheit aus, mit jedem Anwalt, mit dem er zu tun hatte, ein paar Worte zu wechseln, er wollte einen guten Eindruck machen und so viel wie möglich über den Beruf und die Leute, die ihn ausübten, in Erfahrung bringen. Netzwerke schaffen. Auf den Tag hinarbeiten, an dem er auf der Suche nach einem Job war, eine Empfehlung brauchte, einen Rat.
    Lowell machte die Tür auf, sein langes Pferdegesicht verzog sich zu einem Lächeln, das zwei Reihen unnatürlich weißer Zähne sehen ließ.
    »Weder Wind noch Smog noch finstere Nacht«, dröhnte er. Er hatte getrunken. Jace roch den Bourbon, den auch das billige Rasierwasser nicht überdecken konnte.
    »Hallo, Lenny«, sagte er und schob sich an ihm vorbei. »Das schüttet vielleicht, Mann.«
    »Deshalb
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