Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft
Autoren: Bernard Glemser
Vom Netzwerk:
und berichtete ihr, daß es Luke gut gehe, aber sie wollte nicht nach vorn kommen und ihn sehen. Sie machte ein ziemlich finsteres Gesicht und schien der Sache nicht recht zu trauen.
    »Mach dir keine Sorgen, Jurgy«, beruhigte ich sie. »Wir passen schon auf ihn auf.«
    Der Flug war traumhaft. Unter uns nichts als Wolken und manchmal ein Streifen verwischten Blaus, der Atlantische Ozean; es wollte mir einfach nicht in den Kopf, daß wir Europa näher und näher kamen und in wenigen Stunden auf französischem Boden landen würden. Frank Hoffer, der Kapitän, schlenderte dann und wann durch die Kabine und wechselte ein paar Worte mit jedem, der wach war. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, untersetzt und vierschrötig, aber mit ungeheuer wachen dunklen Augen. Kay war schon oft mit ihm geflogen; sie kannten sich gut. Wir hatten eine kleine Besprechung in der Kombüse, und er meinte: »Scheint recht ruhig zu sein, die Burschen sparen sich ihre Kräfte wohl für den großen Augenblick im lustigen Paris. Aber wenn irgendeiner randalieren sollte, dann ruft mich sofort, ja?«
    »Selbstverständlich«, sagte Kay. c
    Um ein Uhr war es Zeit für den Lunch. Ich machte in der Kombüse die Tabletts zurecht; und Kay servierte. Ray schlief immer noch, aber nachdem alle anderen bedient waren, entschloß Kay sich, ihn zu wecken. »Er muß was in den Magen bekommen. Das ist es, was er braucht.« Als sie in die Kombüse zurückkam, sagte sie voll Befriedigung: »Es geht ihm prächtig. Er ist aufgewacht wie ein Baby und hat sich auf das Filet mignon gestürzt, als hätte er seit einer Woche nichts mehr gegessen.«
    Wir hatten es nicht gerade eilig. Kay lag alles daran, die Trinkerei auf ein Minimum zu beschränken. Nachdem die Tabletts der Hauptmahlzeit wieder eingesammelt waren, servierte Kay das Dessert und ich den Kaffee, und nirgends bekamen wir einen Korb, bis auf den Salon, wo das Pokerspiel in vollem Gange war. Luke kippte sich immer noch einen aus seinem Steinkrug mit Apfelschnaps, die anderen tranken Bourbon, und sie alle kamen allmählich etwas in Fahrt. Luke dröhnte und gurgelte wie ein altes Nebelhorn.
    »Himmel«, meinte Kay, »wenn mir doch bloß etwas einfiele, wie ich diese Bande auseinandertreiben könnte.«
    »Soll ich mit Mary Ruth sprechen?«
    »Noch nicht. Das ist unsere letzte Rettung.«
    Wir gingen weiter zu Ray Duer. Er hatte sein Steak gegessen und alle Beilagen, die gerösteten Kartoffeln und die französischen grünen Bohnen und die gefüllten Champignons und die Brötchen und die Butter, und es erfreute mein Herz. Er jedoch machte gar keinen vergnügten Eindruck. Er hockte in seinem Sessel und starrte finster aus dem Fenster hinab in die Wolken zwanzigtausend Fuß unter uns.
    Wir waren alle außerordentlich förmlich.
    Kay sagte: »Ich hoffe, das Essen hat Ihnen geschmeckt, Sir?«
    »Sehr gut, danke.«
    »Hätten Sie gern ein Dessert, Sir?«
    »Nein, danke.«
    »Wirklich nicht? Vielleicht Obst oder Käse?«
    »Nein, danke.«
    Jetzt war ich an der Reihe. »Kaffee, Sir?«
    »Bitte.«
    Er schaute mich einen Augenblick lang an. Dann wandte er sich wieder zu Kay: »Das ist eine schöne Geschichte, wie?«
    »Was denn, Sir?« fragte sie unschuldsvoll.
    »In einem solchen Zustand an Bord zu kommen.«
    »Sie sind auf Urlaub, Sir. Warum sollten Sie nicht vor der Abreise feiern?«
    Er grunzte.
    Ich sagte: »Möchten Sie Milch zum Kaffee, Sir?«
    »Nein, schwarz. — Kay, wie seh ich aus?«
    Sie lachte: »Nicht allzu schlimm. Sie wissen ja, wir haben auch einen elektrischen Rasierapparat hier. Sie brauchen sich nur zu bedienen.«
    »Danke. — Miß Thompson?«
    »Ja, Sir?«
    Er blickte finster drein. »Nichts. Verzeihung. Schon gut.«
    Ich wußte, was er mir sagen wollte — nicht wörtlich, aber dem Sinn nach; und er konnte natürlich nicht sprechen, solange Kay neben uns stand. Ich glaube nicht, daß er sich für seinen Zustand entschuldigen wollte. So weit würde er sich nicht herablassen. Er wollte wohl nur wissen, ob ich endlich zufrieden sei. Hier war er, sozusagen buchstäblich bloßgestellt, und selbst Jago hätte auf keine abgefeimtere Rache sinnen können. Aber was empfand ich?
    Er wäre wohl erstaunt gewesen. Ich empfand nur Kummer und Liebe und den Drang, ihm mehr und mehr schwarzen Kaffee einzuschenken, auf daß er zu seinem wahren Selbst zurückkehren möge. Ich konnte es nicht ertragen, ihn so dort sitzen zu sehen, unordentlich, unrasiert, unglücklich. Ich wollte keine Rache, ich wollte nicht Zeuge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher